Kaeltezone
wollte. Und sich nicht getraut hat, seiner Verlobten in Reykjavík was davon zu sagen.«
»Und seitdem ist er untergetaucht?«, warf Sigurður Óli ein.
»Um 1970 herum herrschten hier doch ganz andere Zustände«, sagte Erlendur. »Man brauchte mit dem Auto einen ganzen Tag bis nach Akureyri. Es gab noch keine Ringstraße. Die Verkehrsverbindungen waren viel schlechter und die kleinen Dörfer auf dem Land viel isolierter.«
»Damit meinst du wahrscheinlich, dass es etliche Käffer gegeben hat, wo nie jemand hinkam«, sagte Sigurður Óli. »Ich hab irgendwo die Geschichte von einer Frau gehört«, sagte Elínborg, »die mit einem schicken Kerl verlobt war, alles lief wunderbar, aber dann ruft er eines Tages an und sagt ihr, dass er Schluss machen will. Und nach einigem Hin und Her gibt er zu, dass er vorhat, demnächst eine andere Frau zu heiraten. Und das war alles, was seine Verlobte zu hören bekam. Wie gesagt, es gibt keine Grenzen dafür, wie lausig sich Männer verhalten können.«
»Aber warum segelte dieser Leopold dann in Reykjavík unter falscher Flagge?«, fragte Erlendur. »Wenn er sich nicht getraut hat, der Frau hier in Reykjavík zu sagen, dass er auf dem Land eine andere kennen gelernt hat und ein neues Leben beginnen will. Warum dieses Versteckspiel?«
»Was weiß man schon über solche Männer«, sagte Elínborg resignierend.
Eine Weile herrschte Schweigen.
»Und was ist dann mit der Leiche im See?«, fragte Erlendur.
»Ich bin der Meinung, dass wir nach einem Ausländer suchen«, entgegnete Elínborg. »Ich finde die Vorstellung ganz einfach absurd, dass es sich um einen Isländer handeln soll, dem man ein russisches Abhörgerät angebunden hat. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass so etwas hier passiert.«
»Der Kalte Krieg«, gab Sigurður Óli zu bedenken. »Eine merkwürdige Zeit.«
»Ja, eine merkwürdige Zeit«, stimmte Erlendur zu.
»Im Kalten Krieg hatte man ständig Angst vor dem Weltuntergang«, sagte Elínborg. »Das hat einen doch dauernd beschäftigt. Man war nie frei von dem Gedanken, dass der Weltuntergang vielleicht kurz bevorstand. Das ist der einzige Kalte Krieg, den ich kenne.«
»Ein simples technisches Versagen, und kawumm!«, sagte Sigurður Óli.
»Irgendwo müssen sich solche Ängste doch auswirken«, sagte Erlendur. »In dem, was wir tun oder wie wir sind.« »Beispielsweise darin, dass man Selbstmord begeht, so wie der Mann mit dem Falcon?«, fragte Elínborg.
»Wenn der mal nicht glücklich verheiratet in Hvammstangi lebt«, sagte Sigurður Óli, knüllte die Sandwichverpackung zusammen und zielte auf den Papierkorb, traf aber daneben.
Als Elínborg und Sigurður Óli gegangen waren, klingelte das Telefon bei Erlendur. Ein Mann war am Apparat, den er nicht kannte.
»Spreche ich mit Erlendur?«, fragte eine tiefe Stimme, die wütend klang.
»Ja. Wer ist am Apparat?«, erwiderte Erlendur.
»Lass gefälligst die Finger von meiner Frau«, sagte die Stimme.
»Von deiner Frau?«
Erlendur war völlig perplex. Es kam ihm überhaupt nicht in den Sinn, dass der Mann am anderen Ende der Leitung von Valgerður sprach.
»Kapiert?«, sagte die Stimme. »Ich weiß genau, worauf du aus bist, und ich verlange, dass du damit aufhörst.«
»Sie kann wohl selbst entscheiden, was sie will«, erklärte Erlendur, als er endlich begriffen hatte, dass es Valgerðurs Ehemann sein musste. Er erinnerte sich, was Valgerður über seine Seitensprünge erzählt hatte und dass sie zu Anfang ihrer Bekanntschaft mit Erlendur nur im Sinn gehabt hatte, sich an ihrem Mann zu rächen.
»Lass gefälligst die Finger von ihr.« Die Stimme hörte sich jetzt drohend an.
»Halt die Schnauze, Mensch«, sagte Erlendur und knallte den Hörer auf die Gabel.
Fünfzehn
Der ehemalige Staatssekretär Ómar war ein Mann um die achtzig, der sich trotz seiner Größe und Statur sehr gewandt bewegte. Er hatte eine Glatze und ein recht breites Gesicht, das von Mund und Kinn beherrscht wurde. Er war augenscheinlich froh, Besuch zu bekommen. Elínborg und Erlendur gegenüber beklagte er sich bitter, dass er mit siebzig hatte in Pension gehen müssen, ein Mann bei bester Gesundheit und auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Er lebte in einer geräumigen Wohnung in Kringlumýri, nach dem Tod seiner Frau hatte er sein früheres Haus verkauft.
Es waren einige Wochen vergangen, seitdem die Hydrologin vom Energieinstitut auf das Skelett gestoßen war. Der ungewöhnlich sonnige und warme Juni war
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