Käptn Snieders groß in Fahrt
Nordenham nach Delmenhorst fährt nur ’ne ganz elende Bimmelbahn, und der Doppelzentner Koks kostet heute längst zehn Mark vierzig.“
„Ei, ei!“ tönte Ludwig Reiners von hinten. „Was unser lieber Lutz nicht alles weiß! Zehn Mark vierzig! Da muß ich lachen silberhell. Zwölf Mark zwanzig kostet der. Und von Hude nach Delmenhorst kann man doch in einem D-Zug fahren.“
Käpten Snieders hatte jetzt das Gefühl, daß sich das Gespräch nicht mehr nur um Rechenfragen drehte, und hielt es an der Zeit einzugreifen.
„Von Nordenham nach Delmenhorst, habe ich gesagt, basta! Ob D-Zug oder Bimmelbahn, das ist ganz egal. Jedenfalls fährt er mit vierzig Knoten. Und der Doppelzentner Koks kostet neun Mark achtzig und keinen Pfennig mehr!“ polterte er. „Hoffentlich sagt mir jetzt endlich jemand, wann er da ist!“
Hans Schneider meldete sich.
„Wie sollen wir das ausrechnen, wenn wir nicht wissen, wann er abfährt?“ fragte er.
„Dafür wißt ihr aber, was der Doppelzentner Koks kostet!“ konterte der alte Kapitän.
Hans Schneider schüttelte den Kopf.
„Das hilft uns nicht weiter“, sagte er, „wir müssen die Abfahrtszeit haben und die Streckenlänge.“
„Er hat recht“, stimmte Maria Neumann zu, „was nützt uns der Kokspreis, wenn wir die Abfahrt nicht wissen!“
Käpten Snieders hatte mit einemmal das Empfinden, eine sehr dumme Aufgabe gestellt zu haben. Er brummte irgend etwas Unverständliches und befahl dann dem Knastermaat, ihm die Pfeife zu stopfen. Als er bald darauf blauen Dunst gegen die Klassendecke blies, fühlte er sich wieder besser.
„Ich sehe schon“, sagte er, „auf dem Land kenne ich mich nicht so aus. Darum werde ich euch nun eine Aufgabe aus der Seefahrt stellen.“ Er rückte seinen Stuhl vors Pult und nahm umständlich darauf Platz.
„Auf See gibt es nämlich auch eine ganze Menge zu rechnen“, begann er. Und wer die Sterne nicht kennt und nicht weiß, wie weit es von Helgoland nach Kap Hoorn ist, der kann man gleich über Bord springen. Darum rechnet ihr jetzt aus, wie lange ein Klipper von Cuxhaven nach Honolulu braucht, wenn er bei steifem achterlichem Wind am vierundzwanzigsten Mai in See sticht und am zwölften Juli da ist.“
Die Kinder saßen eine Weile stumm. Dann fing Lutz Lehmann ganz unverschämt an zu grinsen, ohne jedoch den Finger zu heben. Er wandte sich um in der Bank und feixte seine Mitschüler überlegen an. Das ärgerte Hinnerk Beiderbeck, der im Rechnen nicht eben besonders schnell war. Er schnitt Lutz eine wahnsinnig komische Grimasse und tippte sich an die Stirn. Darüber mußte der kleine Rudi so lachen, daß er einen Hustenanfall bekam und sich gar nicht wieder beruhigen konnte.
Käpten Snieders ging zu ihm hinüber und klopfte ihm den Rücken. Da kam Rudi allmählich wieder zu Atem. Aber gleich prustete er wieder los und steckte mit dieser Fröhlichkeitsexplosion die ganze Klasse an. Alle lachten, und keiner außer Rudi wußte, worüber. Und weil Käpten Snieders viel lieber mit fröhlichen Menschen zu tun hatte als mit griesgrämigen, wurde auch er mit hineingerissen in das große Gelächter.
Frau Besenhoff, die mit dem Schrubben der drei steinernen Stufen am Eingang beschäftigt war, hörte das übermütige Gebrüll. Sie schüttelte den Kopf und sagte: „Junge, Junge, der alte Snieders ist reineweg übergeschnappt. So einen Krawall hat es hier in den letzten zehn Jahren nicht gegeben. Hoffentlich kommt Heinecke bald wieder, sonst geht das noch schlimm aus!“
Inzwischen war Rudi ganz zu sich gekommen und hörte auf mit der anstrengenden Lacherei. Auch die anderen beruhigten sich. Käpten Snieders aber fragte den Kleinen väterlich: „Worüber hast du denn bloß so gelacht, Rudi?“
Da stiegen noch einmal sieben bis zehn kleine Lachrülpser aus Rudis unschuldiger Kehle, und er lispelte: „Weil Hinnerk ßo eine ßaudumme Grimaßße geßnitten hat.“
Hinnerk grinste und fühlte sich geehrt. Käpten Snieders bat ihn, er möchte die Grimasse noch einmal machen. Hinnerk ließ sich auch nicht lange bitten. Er riß das Kinn nach backbord, stellte die Augen auf Schlitz, steckte auf steuerbord seine unglaublich lange Zunge heraus, klapperte mit den Augendeckeln und wackelte sogar mit den Ohren.
Schon fing das Lachen wieder an. Hinnerk hatte wirklich ein unerhört bewegliches Gesicht. Als er merkte, welchen Erfolg er mit seiner Grimassenschneiderei hatte, ließ er seine Gesichtszüge turnen, daß die Zuschauer in einer Springflut des
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