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Käptn Snieders groß in Fahrt

Käptn Snieders groß in Fahrt

Titel: Käptn Snieders groß in Fahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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Morsetelegraph. Da wurde mir ganz schwach vor den Augen und blau in den Beinen, oder auch umgekehrt. Wen gab es sonst hier im Urwald, der freundschaftliche Klapse austeilte?
    Sollte uns irgend jemand vom Schiff gefolgt sein? Aber dann würde Kleuten doch nicht so entsetzt aus seinem Badetrikot blicken?
    Chotz verdoli, war das eine unangenehme Situation!
    Ich wagte gar nicht, mich umzugucken. Aber endlich konnte ich die Spannung doch nicht länger ertragen. Und so machte ich einen Schritt vorwärts, behutsam und ohne zu rucken, versteht sich, duckte mich unter der Hand weg, die immer noch schwer auf meiner Schulter lag, und drehte mich gleichzeitig um.
    Tja, und im selben Moment begannen auch meine Zähne zu klappern. Ich stand nämlich Aug’ in Auge einem ausgewachsenen Tiger gegenüber! Von seiner Nasenspitze bis zu meiner war der Abstand nicht größer als einen halben Meter.
    Ich weiß nicht, ob ihr euch in meine Lage versetzen könnt, aber ich bin sicher, daß ihr mir die Gänsehaut glaubt, die mir trotz der Bruthitze über den Rücken lief. Bedenkt, ich hatte als Waffe nur meine Hände und keinerlei Erfahrung im Ringkampf mit Tigern. Starr vor Schreck stand ich da, wobei ich dem Urwaldtier in die großen, grünen Augen blickte, die unheimlich funkelten.“
    „Nein, wie ßrecklich!“ ließ Rudi sich vernehmen.
    „Das war es, in der Tat“, bestätigte Käpten Snieders und fuhr fort: „Der Tiger hatte, wenn ich das mal so ausdrücken darf, ein gewisses Erstaunen in den Mundwinkeln, und links von seiner Nase hatte sich so etwas wie Enttäuschung eingenistet. Anfangs begriff ich das gar nicht. Aber als der erste Schreck gewichen und die Überlegung wieder zurückgekehrt war, wurde es mir bewußt. Worüber ist der gefleckte Herr bei meinem Anblick enttäuscht? fragte ich mich. Da fiel mir mein Badeanzug ein, und ich ahnte den Grund. Der Bursche mußte mich verwechselt haben mit einem guten Bekannten oder vielleicht sogar mit seiner Herzallerliebsten. Deshalb sein belämmertes Gesicht. Eigentlich hätte er ja riechen müssen, daß ich keine Tigerin war, aber vielleicht hatte er gerade einen Schnupfen oder sonstwie eine verstopfte Nase. Jedenfalls galt es für mich nun, in Güte mit ihm auseinanderzukommen.
    Gerade rechtzeitig fiel mir ein, daß die Dompteure im Zirkus den wilden Bestien immer fest in die Augen blicken und keine Furcht zeigen. Das macht großen Eindruck auf die Vierbeiner. Tja, und weil das für mich in meiner verteufelten Lage der einzige Weg war, meine Haut und meinen Badeanzug zu retten, probierte ich es. Ich riß also meine Augen ganz weit auf, machte ein Gesicht wie Napoleon bei Waterloo und zeigte sogar meine Zähne wie ein bissiger Hund. Ich kann euch sagen, wenn ihr mich damals gesehen hättet, wäre bestimmt das große Zittern über euch gekommen.
    Der Tiger zeigte sich auch beeindruckt, potz Blitz, ganz tief sogar! Er riß das Maul auf, kniff die Augen zusammen und fing so unverschämt laut an zu lachen, daß man es noch in Duala hören konnte.
    Diese Wirkung hatte ich mit meiner Grimasse zwar nicht beabsichtigt, aber sie war mir auch recht. Wer lacht, tut nichts Böses, sagte ich mir und zog nun noch ein gutes Dutzend der ausgefallensten Grimassen. Dadurch wurde das Tier, das zweifellos viel Sinn für Humor besaß und einen Spaß verstand, ganz närrisch. Es überschlug sich vor Lachen und hatte schließlich einen richtigen Lachkrampf. Als es zuckend am Boden lag und seinen Körper nicht mehr in der Gewalt hatte, gab ich Kleuten Osterloh einen Wink. Wir kletterten den Baum hinauf, unter dem der Tiger lag, an der andern Seite wieder hinunter, den nächsten hinauf und entfernten uns auf diese Art eilends von dem reizenden Raubtier. Als wir schon zwanzig bis dreißig Bäume überklettert hatten, hörten wir es immer noch lachen.
    Vielleicht lacht es heute noch, wenn es nicht inzwischen zu einem Bettvorleger verarbeitet wurde.“
    Käpten Snieders sah sich fröhlich nach back- und steuerbord um, als er mit diesen Worten seine unglaubliche Geschichte beendet hatte.
    Die größeren Kinder grinsten, die mittleren machten zweifelnde Gesichter, und die kleinen saßen ergriffen in ihren Bänken. Er hielt nun eine Pause für angebracht und ließ darum alle hinausgehen.
    Im zweiten Teil des Vormittags mußten die Kinder einen Aufsatz über den lächerlichen Tiger verfassen, und Ludwig Reiners vermerkte im Klassenbuch: „Lachkampf zwischen Käpten Snieders und einem Tiger, erzählt von ihm selbst,

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