Käptn Snieders groß in Fahrt
gemalt von Rudi und aufgeschrieben von allen anderen.“
Weil es nach der Niederschrift des Aufsatzes immer noch nicht zwölf Uhr war, wurde noch eine Weile gesungen.
Maria Neumann führte die Sänger mit ihrer glasreinen Stimme an. „De Käppen, de Stürmann, de Bootsmann und ik, ja, wir sind Kerle!“
Dem alten Kapitän hüpfte das Herz.
Rudi Turka und Joachim Pinkel machten zwar wichtige Gesichter und gaben sich große Mühe, den richtigen Ton zu treffen, aber was sie aus ihrem Mund entließen, war mit der Melodie des Liedes nur sehr weitläufig verwandt.
Dann war die Schule aus.
Rettung eines Jungen
Am späten Nachmittag wanderte Käpten Snieders die Deichstraße entlang zu Heini Brackwede, um nach den Aufsätzen zu fragen. Die Dohle Minna begleitete ihn.
Als er nur noch fünfhundert Schritte von Heinis Haus entfernt war, hörte er Minna plötzlich so erbärmlich schreien, daß er sich beeilte, in ihre Nähe zu kommen.
Sie trippelte aui dem kleinen hölzernen Steg, der über den vier Meter breiten Sielgraben führte, hin und her, rief aufgeregt „Tschak, tschak, tschak, tschak!“ und äugte dabei auf Furkens großen Schäferhund, der sich, im Wasser schwimmend, offenbar bemühte, irgend etwas auf den Steg zu heben oder zu schieben. Jetzt war der Kapitän heran und erfaßte mit einem Blick, was da vorging: ein Kind trieb leblos in dem dunklen Wasser. Der Hund hatte es mit den Zähnen am Pullover gepackt und kämpfte gegen die Strömung an, die es unter den Steg ziehen wollte. Er arbeitete mit ganzer Kraft und konnte, da er das Kind nicht fahrenlassen wollte, das Maul nicht öffnen, um Hilfe herbeizubellen. Käpten Snieders bückte sich und zog mit einem Griff das Kind heraus. Es war der kleine Bruder Klara Furkens, drei Jahre alt. Er mußte beim Spielen in den Graben gefallen sein, der an Furkens Garten entlangfloß. Nun lag er ohne Leben zu Füßen des alten Kapitäns.
Aber nicht lange.
Käpten Snieders war trotz seines Alters ein Mann von raschen Entschlüssen. Er lud sich den Kleinen auf die Schulter, so daß sein Kopf nach unten hing und ihm das Wasser aus dem Mund sprudelte, das er so reichlich hatte schlucken müssen. Dann rannte der alte Mann in das Haus der Furkens, von dem jaulenden Hund gefolgt, polterte durch die Küche, rief dabei laut: „Mudder Fur-ken, wo steckst du?“ und fand schließlich den Weg in das Schlafzimmer. Da legte er den Verunglückten in seinen triefenden Kleidern auf eine Decke, riß ihm Pullover und Schuhe vom Körper, drehte ihn auf die Seite, war froh, daß der Junge sich erbrach, und begann mit seinen riesigen Händen den winzigen Brustkorb im Atemrhythmus zu drücken.
Seine Mühe war nicht vergebens.
Nach wenigen Minuten schwand die Totenblässe aus dem Gesicht des Jungen, die Mundwinkel zuckten, und die Lunge begann selbsttätig zu arbeiten.
Der Kapitän lehnte sich zurück und merkte erst jetzt, daß er schwitzte und daß Klara Furken, die Schwester, zitternd neben dem Bett stand.
„Wo ist Mudder?“ fragte er sie.
Klara schluckte und begann dann jämmerlich zu weinen. Aus dem, was sie dabei hervorstotterte, konnte Käpten Snieders entnehmen, daß die Mutter in der Arbeit sei, wie jeden Tag, und daß sie, Klara, die Aufsicht über ihren kleinen Bruder allein auszuüben hätte.
„Schöne Aufsicht!“ knurrte er und sah dabei das schmale Mädchen an, das mit seinen acht Jahren selber keinen Augenblick ohne Aufsicht sein durfte.
„Du hättest deinen kleinen Bruder beinah ertrinken lassen. Los, hole sein Nachtzeug, er muß sofort ins Bett!“
Den Hund, der schon zweimal das Wasser aus seinem Fell gegen den Spiegel und die Schranktüren geschüttelt hatte und nun schwanzwedelnd versuchte, dem Jungen das Gesicht zu lecken, wehrte er ab, lobte ihn aber und streichelte seinen nassen Kopf. Klara kam mit dem Schlafanzug.
„Hilf mir, deinem Bruder das nasse Zeug auszuziehen“, sagte Käpten Snieders. „Hole auch noch ein Handtuch und eine warme Strickjacke oder so was.“
Das Mädchen lief.
Wenige Minuten später lag der Kleine abgetrocknet und umgezogen im Bett seiner Mutter.
„Wir müssen ihm noch eine Wärmflasche machen“, sagte der Alte, „damit sein Blut schneller fließt.“
Das Mädchen kannte sich im Haushalt der Mutter gut aus. Sie nahm eine leere Steinhägerflasche aus gebranntem Ton und füllte sie mit heißem Wasser, das auf dem Herd immer bereitstand. Dann wickelte sie ein buntes Handtuch darum und legte die Flasche ihrem Bruder
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