Käptn Snieders groß in Fahrt
auf die Beine. Das Blut war ihm in den Kopf gestiegen, er glühte wie eine Tomate. Er sah die erstaunten Blicke der beiden Jungen und sagte: „Das übe ich schon seit zwei Jahren, es ist nichts dabei, wenn man den Bogen ’raus hat.“
„Gibt es keinen Trick dabei?“ fragte Kluten.
„Doch. Du mußt dich immer nach hintenüberfallen lassen, aber bevor du wirklich fällst, machst du einen Schritt vorwärts. Das ist alles. Es ist ganz einfach.“
Kluten probierte es. Sieben Schritte schaffte er, dann mußte er die Füße auf setzen. Aber gleich waren sie wieder oben. N ach zehn bis zwölf Versuchen hatte er genug und setzte sich erschöpft in den Sand.
„Ihr habt wohl viel Sport gemacht bei euch, was?“ fragte er. „Zweimal die Woche.“
„Im Winter auch?“
„Klar. Wir haben doch ’ne prima Halle.“
„Und euer Lehrer, hat der alles vorgemacht?“
Wolf gang nickte.
„Der war Landesmeister im Geräteturnen. Da konntest du was sehen, kann ich dir sagen! Der lief auf Händen um die ganze Schule. Und Salto machte er aus dem Stand, Salto rückwärts natürlich.“
Kluten und Ludwig machten bewundernde Mienen.
„Bei uns ist nur im Sommer Sport“, sagte Kluten wegwerfend, „und das ist man auch nur so n Ringelpietz mit Anfassen. Heinecke steht im Anzug dabei und gibt Anweisungen. Wenn man sich danach richtet, kriegt man keine Übung hin.“
Die drei hatten während dieses Gespräches den Weg nach Hause eingeschlagen. Sie redeten noch über vieles an diesem Nachmittag und drängten Wolfgangs Kummer unmerklich zurück.
In den nächsten Tagen trafen sie sich öfter. Manchmal nahmen sie auch Rudi mit und hin und wieder Maria, Klutens Schwester, aber nur gezwungenermaßen, nämlich dann, wenn sie drohte, sie würde ihre Streiche der Mutter oder sonst einer einflußreichen erwachsenen Person verraten.
So wuchs Wolf gang in die Gemeinschaft der Schulkinder hinein und fand kaum Gelegenheit, an seine Eltern zu denken. Abends allerdings, wenn er allein in seinem Zimmer lag, überfiel ihn oft eine große Bangigkeit und Verzweiflung.
Der Bürgermeister lernt das Staunen
Als Käpten Snieders von seinem Deichplatz aus den Bürgermeister im Sonntagsanzug die Straße entlanggehen sah und hörte, wie er sich leutselig mit Marichen Buttjer unterhielt, wußte er, daß heute Schulinspektion war. Schon wollte so etwas wie Unbehagen und Angst in ihm aufsteigen, doch da spuckte er seinen Priem über Bord und sagte laut: „Komm nur, Walter Reiners, und steck deine Nase in meinen Unterricht. Aber das eine laß dir gesagt sein, wenn du pampig wirst, schmeiß ich dir den ganzen Kram vor die Füße. Dann kannst du sehen, woher du einen anderen Lehrer kriegst.“
Nach dieser Ankündigung fühlte der alte Mann sich wieder wohler, ja er freute sich sogar auf den Spaß, den er sich mit dem Bürgermeister machen wollte.
Ohne Eile stapfte er die düstere Treppe seines Hauses hinunter und machte sich auf den Weg.
Auf dem Schulhof standen die Kinder um den Bürgermeister herum, der ihnen offenbar einige Fragen stellte.
„’reingehen!“ befahl Käpten Snieders, als er heran war, und wartete, bis Walter Reiners ihn grüßte. Lässig legte er als Antwort zwei Finger an die Mütze und wollte dann den Kindern folgen, ohne sich mit dem Bürgermeister in ein Gespräch einzulassen.
„Ach“, sagte der verlegen, „ich möchte mal gern eine Stunde bei dir zuhören, wenn du nichts dagegen hast. Nur so, verstehst du, aus Spaß an der Sache und aus Neugier natürlich. Man hört ja so tolle Dinge über deinen Unterricht. Es ist dir doch hoffentlich nicht unangenehm?“
„Mach, daß du an Bord kommst!“ knurrte der alte Kapitän als Antwort. „Aber putz dir ja die Schuhe ab, sonst springt dir die Besenhoff sehe ins Genick.“
Er ging voran und stieß auf dem Flur fast mit der Putzfrau zusammen.
„Wenn man vom Deubel spricht...“ murmelte er.
Ruth Besenhoff wollte gerade eine patzige Bemerkung fallen lassen, da sah sie den Bürgermeister.
„Wird höchste Zeit, daß du dich mal sehen läßt“, bellte sie dem einladend entgegen. „Die Zustände hier nehmen ja schon Formen an, nehmen die.“
„Soso“, antwortete Walter Reiners, „aber du nimmst leider keine an, du bist immer noch so mager wie ein Besenstiel.“
Lachend schob er sich an der grantigen Dame vorbei und beeilte sich, dem Kapitän in die Klasse zu folgen. Er kam gerade zurecht, um mitzuerleben, wie die Kinder aus den Bänken sprangen, die Hand an die
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