Käptn Snieders groß in Fahrt
„Hier, diese Sanduhr sollst du haben. Sie ist schon sehr alt, ich hab’ sie mal in Hongkong bei einem Trödler gekauft. Das ist nun schon über dreißig Jahre her.“
Heini nahm die Uhr in die Hand und betrachtete sie erfreut. „Das kann ich doch gar nicht annehmen“, stotterte er.
„Und ob du das kannst“, sagte der Alte. „Ich befehle es dir. Und nun kein Wort mehr darüber!“
Heini drehte die Uhr um und beobachtete, wie der feine Sand in dünnem Strahl durch die winzige Öffnung in das untere Glas rieselte. Dort wuchs ein kleines Häuflein auf, wurde breiter und höher und zeigte an, daß die langsam verrinnende Zeit aufgefangen wurde und nicht verlorenging.
„Vielen Dank“, sagte er leise, „das ist eine wunderschöne Uhr.“ Käpten Snieders brummte eine Antwort, die Heini aber nicht verstand. Es klang, als hätte ein Seehund gebellt.
Eine Weile saßen die beiden stumm und sahen dem Rieseln des Sandes zu.
Schließlich erzählte Käpten Snieders von dem neuen Schüler, der dem Moses so fein das Schreiben beibrachte.
„Der hat den Bogen aber ’raus“, sagte er. „Der malt die Buchstaben wie ein Kunstmaler, einen schöner als den anderen. Und Rudi tut alles, was er sagt, er gehorcht ihm aufs Wort. Er läßt sich die Hand führen und macht immer noch ein paar Reihen mehr, als er soll. Tja, der Wolfgang wird mal ein guter Lehrer.“
„Hat er auch einen Aufsatz geschrieben?“ fragte Heini.
„Na klar“, antwortete Käpten Snieders, „einen langen sogar. Er liegt gleich obenauf.“
Heini nahm das Heft in die Hand und begann zu lesen. Schon nach den ersten Sätzen merkte er, daß der Aufsatz von einem sehr sprachgewandten Autor geschrieben war. Jeder Ausdruck traf, es fanden sich keine unnötigen Wendungen und nicht ein einziger Rechtschreibfehler. Heini erkannte, daß es für ihn von diesem Schreiber noch etwas zu lernen gab. Er bekam ein rotes Gesicht vor Erregung, während er den Aufsatz zu Ende las. „Das ist eine glatte Eins“, sagte er und ließ das Heft sinken. „Nun guck einer an!“ staunte Käpten Snieders. „Das scheint ja ein Deubelskerl zu sein! Und dabei ist er man kaum 'ne Handvoll. Man kann ihm beinah durch die Backen pusten.“
„Es wäre schön, wenn er mich mal besuchen käme“, sagte Heini nachdenklich. „Er ist bestimmt sehr klug.“
„Und ob er das ist! Ich sag’ ja, das ist der geborene Schulmeister“, bestätigte der Kapitän.
„Ob Sie ihn wohl mal mitbringen können?“ fragte Heini.
„Klar kann ich das! Warum wohl nicht? Wenn ich das nächstemal komme, ist er dabei. Darauf kannst du dich verlassen.“
Käpten Snieders hielt Wort.
Drei Tage später schob er den blassen Wolfgang vor sich her in die Krankenstube von Heini Brackwede und hatte seine Freude daran, wie gut die beiden sich von Anfang an verstanden. Sie sprachen erst über die Aufsätze, dann ein bißchen über Heinis Krankheit und schließlich über Bücher, die sie gelesen hatten. Dabei stellte sich heraus, daß sie beide dasselbe Lieblingsbuch hatten, den Huckleberry Finn von Mark Twain. Die Floßfahrt des Jungen mit dem entlaufenen Neger Jim auf dem Mississippi erregte sie jetzt im Gespräch fast genauso wie damals beim Lesen des Buches.
„Wenn ich noch mal wieder gehen könnte“, sagte Heini sinnend, „würde ich auch gerne so eine Fahrt machen. Man könnte die Weser hinunterfahren bis nach Bremerhaven, und wenn das Wetter gut wäre, sogar bis auf eine der Inseln.“
„Das wär’ schon prima“, pflichtete Wolfgang ihm bei. „Mein Bruder, der fährt zur See als Schiffsjunge, der könnte uns manchen Tip geben.“
„Der fährt doch wohl nicht auf einem Floß zur See?“ mischte sich Käpten Snieders ein.
Wolfgang bekam einen roten Kopf.
„Nein, das natürlich nicht“, sagte er. „Er fährt auf einem Tanker. Von Venezuela und Kuwait nach Wilhelmshaven. Aber er kennt sich aus in der Schiffahrt. Er will ja auch mal Kapitän werden wie Sie.“
„Soso“, machte der Alte. „Und was willst du werden?“
„Auch Kapitän natürlich.“
„O nee, mein Junge“, wehrte Käpten Snieders ab. „Das ist nichts für dich. Seefahrt ist ein rauhes Geschäft. Dazu braucht man eine feste Schale und einen festen Kern. Sonst geht man ein wie eine Primel am Ofen. Du bist dafür viel zu leicht, glaub mir das.“
„Ich bin ja auch noch ein Kind. Wenn ich erst erwachsen bin...“
„Nee, nee, auch dann nicht! So erwachsen, wie man für die Seefahrt sein muß, wirst du nie. Versteh mich
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