Kafka am Strand
Erstes angefangen, alle Hotels und Gasthäuser abzuklappern. Eure Personenbeschreibung haben sie längst. Die brauchen nur an der Rezeption nachzufragen, dann seid ihr dran. Jedenfalls seid ihr beide äußerlich sehr gut zu erkennen. Es geht um Sekunden.«
»Die Polizei?«, fragte Hoshino. »Jetzt hören Sie aber auf, Colonel. Wir haben doch nichts gemacht. In meiner Schulzeit hab ich ein paar Motorräder geknackt, aber auch nur für mich zum Rumfahren, nicht zum Verkaufen oder so. Wenn ich genug rumgefahren war, habe ich sie wieder zurückgestellt. Seitdem habe ich mir die Hände nicht mehr schmutzig gemacht. Das Einzige ist, dass wir den Stein aus dem Schrein geklaut haben. Aber das haben Sie mir gesagt.«
»Es hat nichts mit dem Stein zu tun«, sagte Colonel Sanders scharf. »Einfaltspinsel! Du sollst den Stein vergessen, hab ich gesagt. Die Polizei weiß nichts von dem Stein, und wenn sie es wüsste, wäre es ihr auch egal. Ganz bestimmt würde sie deshalb nicht in aller Frühe die Stadt durchkämmen. Es geht um etwas viel Gravierenderes.«
»Etwas viel Gravierenderes?«
»Nakata wird deswegen von der Polizei verfolgt.«
»Colonel, das verstehe ich nicht. Nakata ist doch der Letzte, der irgendein Verbrechen begehen würde. Was ist denn dieses Gravierende für ein Verbrechen? Und was hat es mit Nakata zu tun?«
»Ich habe keine Zeit, dir das hier am Telefon ausführlich zu erklären. Das Wichtigste ist, dass du Nakata beschützt und mit ihm fliehst. Alles liegt jetzt auf deinen Schultern, kleiner Hoshino. Verstanden?«
»Nein«, sagte Hoshino kopfschüttelnd ins Telefon. »Ich verstehe überhaupt nicht, was hier läuft. Werde ich nicht zum Komplizen, wenn ich das tue?«
»Nein, wirst du nicht. Vielleicht wirst du befragt. Aber wir haben keine Zeit. Du musst jetzt erst mal alles schlucken, kleiner Hoshino, und ohne Widerrede tun, was dir gesagt wird.«
»Halt, halt, hören Sie auf. Das muss ich Ihnen sagen, Colonel, dass ich mit Bullen nichts zu tun haben will. Absolut nichts. Die Typen sind schlimmer als Yakuza und die Kerle bei der Armee. Sie haben dreckige Methoden, sind arrogant, und Schwächere zu quälen liegt ihnen ganz besonders. Schon als Schüler haben die Bullen mich ständig auf dem Kieker gehabt, und in meiner ganzen Zeit als Fernfahrer auch. Ich will mit denen keinen Zoff. Du hast keine Chance zu gewinnen, und eins kommt zum anderen, verstehen Sie? Wieso soll ich mich in so was verwickeln lassen? Im Grunde …«
Colonel Sanders hatte aufgelegt.
»Du meine Güte«, sagte Hoshino. Mit einem tiefen Seufzer packte er das Handy wieder in die Tasche und machte sich daran, Nakata zu wecken.
»He, Nakata, alter Freund. Es brennt. Hochwasser! Erdbeben! Revolution! Godzilla ist da! Steh auf! Ich bitte dich.«
Es dauerte ziemlich lange, bis Nakata die Augen aufschlug. »Nakata war gerade mit Kantenabschleifen fertig. Die Reste hat er zum Feuermachen benutzt. Nein, Katzen baden nicht. Das Bad ist für Nakata«, sagte er. Er schien in einer anderen Zeit, in einer anderen Welt zu sein. Der junge Mann rüttelte ihn an der Schulter, kniff ihn in die Nase und zog ihn an den Ohren. Endlich kam Nakata zu sich.
»Sind Sie’s, Herr Hoshino?«, fragte er.
»Ja, ich bin’s, Hoshino«, sagte der junge Mann. »Tut mir leid, dass ich dich wecke.«
»Das macht doch nichts. Nakata muss sowieso allmählich aufstehen. Machen Sie sich bitte keine Gedanken. Ich habe schon angeheizt.«
»Da bin ich ja froh. Aber es ist etwas Unangenehmes eingetreten, und wir müssen schnellstens hier ausziehen.«
»Bestimmt wegen Johnnie Walker, nicht wahr?«
»Über die genaueren Umstände weiß ich nichts. Die Information kommt aus einer bestimmten Quelle, und die sagt, wir müssen hier weg. Die Polizei ist hinter uns her.«
»O je, wirklich?«
»Ja. Aber was war denn nun eigentlich mit Johnnie Walker?«
»Hat Nakata Ihnen das nicht schon erzählt?«
»Nein, hast du nicht.«
»Es kommt ihm aber so vor.«
»Nein, das Wichtigste hast du nicht erzählt.«
»Also, ehrlich gesagt, Nakata hat Johnnie Walker getötet.«
»Ohne Witz?«
»Ja, Nakata hat Johnnie Walker ohne Witz getötet.«
»Du meine Güte«, sagte der junge Mann.
Hoshino packte seine Tasche und wickelte den Stein in das indigoblaue Tuch. Der Stein hatte wieder sein altes Gewicht. Er war nicht gerade leicht, aber auch nicht so schwer, dass man ihn nicht tragen konnte. Nakata packte seine Sachen in seinen Stoffbeutel. Der junge Mann ging zur Rezeption und
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