Kafka am Strand
wahr?«
»Das nicht«, sagt Oshima mit weicher Stimme. »So würde ich es nicht sagen. Du hast getan, was du tun solltest, und es hatte eine Bedeutung. Eine Bedeutung für dich und auch für sie. Das Weitere kannst du ihr überlassen. Das klingt vielleicht kalt, aber im Augenblick gibt es nichts, was du für Saeki-san tun kannst. Du wirst nun allein in die Berge gehen und dich um deine eigenen Dinge kümmern. Auch für dich ist die Zeit gekommen.«
»Um meine eigenen Dinge?«
»Hör gut zu, Kafka«, sagt Oshima. »Sperr die Ohren auf wie Venusmuscheln.«
36
Als der junge Mann ins Gasthaus zurückkam, schlief Nakata erwartungsgemäß noch immer. Die Brötchentüte und der Orangensaft, die Hoshino ihm ans Kopfende gestellt hatte, waren unberührt. Er hatte sich im Schlaf nicht einmal gedreht. Wahrscheinlich war er kein einziges Mal aufgewacht. Im Geist überschlug Hoshino, wie lange Nakata nun schon schlief. Da er sich am Tag zuvor nachmittags gegen zwei hingelegt hatte, schlief er jetzt dreißig Stunden ohne Unterbrechung. Hoshino überlegte, was für ein Wochentag es überhaupt war. Man verlor hier wirklich jegliches Gefühl für die Tage. Er nahm sein Notizbuch aus der Reisetasche und sah nach. Also, am Samstag waren sie in Kobe in den Bus gestiegen und nach Tokushima gefahren. Dort hatte Nakata bis Montag durchgeschlafen. Am Montag waren sie dann von Tokushima nach Takamatsu gekommen. Am Donnerstag war die Sache mit dem Stein und dem Gewitter gewesen, und nachmittags hatte Nakata sich schlafen gelegt. Eine Nacht war vergangen, demnach war heute Freitag. Wenn man es genau nahm, war der Mann offenbar nach Shikoku gekommen, um sich mal richtig auszuschlafen.
Wie am Abend zuvor nahm der junge Mann ein Bad und kroch, nachdem er noch etwas ferngesehen hatte, in seinen Futon. Nakata schnaufte noch immer friedlich und schlief. Es kommt, wie es kommt, dachte Hoshino. Wenn er schlafen will, lass ich ihn eben schlafen. Sinnlos, darüber nachzudenken. Ich hau mich auch aufs Ohr. Ist ja schon nach halb elf.
Um fünf Uhr morgens klingelte das Handy in seiner Tasche. Hoshino wachte sofort auf und nahm es heraus. Neben ihm schlief Nakata noch immer tief und fest.
»Hallo?«
»Kleiner Hoshino«, sagte eine Männerstimme.
»Colonel Sanders«, sagte Hoshino.
»Erraten. Wie geht’s?«
»Eigentlich ganz gut, aber …«, sagte der junge Mann. »Woher wissen Sie denn meine Nummer? Ich hab sie Ihnen doch gar nicht gegeben. Außerdem hab ich das Handy hier immer abgeschaltet. Damit die von der Arbeit mich nicht nerven. Wie konnten Sie mich da anrufen? Das ist ja merkwürdig. Da stimmt doch was nicht!«
»Hab ich’s dir nicht gesagt, kleiner Hoshino? Ich bin kein Gott, nicht Buddha und auch kein Mensch. Ich bin ein ganz besonderes Wesen. Ich bin eine Idee. Deswegen ist es auch ein Kinderspiel für mich, dein Telefon einfach so klingeln zu lassen. Angeschaltet oder ausgeschaltet spielt für mich keine Rolle. Da staunst du, was? Wenn ich mich gleich an dein Bett gesetzt hätte, du wärest womöglich beim Aufwachen vom Schlag getroffen worden.«
»Allerdings.«
»Deshalb rufe ich an. Schließlich weiß ich, was sich gehört.«
»Das ist die Hauptsache«, sagte Hoshino. »Aber hören Sie mal, was machen wir jetzt mit dem Stein? Nakata und ich, wir haben ihn umgedreht und irgendeinen Eingang geöffnet. Bei einem Mordsgewitter. Der Stein war so schwer, dass ich fast gestorben wäre. Und Nakata hat noch nicht mit ihm gesprochen. Nakata ist der, mit dem ich reise –«
»Ich weiß, wer Nakata ist«, sagte Colonel Sanders. »Du brauchst es mir nicht extra zu erklären.«
»Aha«, sagte Hoshino. »Also, danach ist Nakata in eine Art Winterschlaf gefallen und schläft noch immer fest. Den Stein haben wir hier. Sollten wir ihn nicht allmählich in den Schrein zurückzubringen? Wo wir ihn doch unerlaubt weggenommen haben. Ich mache mir doch Sorgen wegen dem Fluch.«
»Du bist vielleicht eine Nervensäge. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es keinen Fluch gibt?«, sagte Colonel Sanders unwillig. »Ihr behaltet den Stein jetzt eine Weile bei euch. Ihr habt ihn weggerollt.
Wer den Eingang einmal geöffnet hat, muss ihn auch wieder schließen. Danach bringt ihr ihn zurück. Die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Kapiert? Okay?«
»Okay«, sagte Hoshino. »Was wir geöffnet haben, schließen. Was wir weggenommen haben, im ursprünglichen Zustand zurückerstatten. Jawohl, hab ich verstanden. Ich geb mir Mühe. Wissen Sie, Colonel,
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