Kafka am Strand
sagte, sie müssten wegen einer dringenden Angelegenheit schon früher abreisen. Da er im Voraus bezahlt hatte, nahm die Rechnung kaum Zeit in Anspruch. Nakata war noch ein bisschen wacklig auf den Beinen, konnte aber einigermaßen gehen.
»Wie lange hat Nakata denn geschlafen?«
»Ja, wie lange?«, sagte Hoshino und rechnete im Kopf nach. »Ungefähr vierzig Stunden.«
»Nakata fühlt sich gut ausgeschlafen.«
»Kein Wunder. Müsstest du eigentlich auch sein. Sonst hätte der Schlaf seinen Dienst schlecht getan. Wie sieht’s aus, alter Freund, hast du Hunger?«
»Nakata kommt es so vor.«
»Kannst du es noch ein bisschen aushalten? Wir müssen schleunigst hier weg. Essen tun wir später.«
»Jawohl. Nakata hält noch durch.«
Hoshino stützte Nakata, sie gingen auf die große Straße hinaus, und er hielt ein vorbeifahrendes Taxi an. Dann zeigte er dem Fahrer die Adresse, die Colonel Sanders ihm gegeben hatte. Der Fahrer nickte und brachte die beiden dorthin. Die Fahrt dauerte ungefähr fünfundzwanzig Minuten. Der Wagen fuhr auf die Landstraße hinaus und kam bald in ein vorstädtisches Wohngebiet. Das elegante, ruhige Viertel stand in krassem Gegensatz zu den Bahnhofsgegenden, wo sie bisher übernachtet hatten.
Ihr Ziel war ein gepflegtes vierstöckiges Apartmenthaus, wie man sie überall findet, und nannte sich Takamatsu Park Heights, auch wenn weder etwas von einem Park noch von einer Anhöhe zu sehen war. Die beiden fuhren mit dem Aufzug in den dritten Stock, und Hoshino fand unter dem Schirmständer den Schlüssel. Die Wohnung bestand aus zwei Schlafzimmern, einem Wohnzimmer, einem kombinierten Ess- und Küchenbereich und einem Badezimmer. Alles war hübsch und neu. Die Möbel sahen fast unbenutzt aus. Großer Fernseher, kleine Stereoanlage. Eine Couchgarnitur. In jedem Schlafzimmer ein frisch bezogenes Bett. In der Küche gab es Kochutensilien, im Schrank stand Geschirr. An den Wänden hingen mehrere geschmackvolle Holzschnitte. Das Ganze sah aus wie eine teure Musterwohnung, die ein Makler für potentielle Käufer eingerichtet hatte.
»Gar nicht so übel, was?«, sagte Hoshino. »Persönlich kann man es nicht nennen, aber immerhin sauber.«
»Eine hübsche Wohnung«, sagte Nakata.
Als sie den riesigen Kühlschrank in gebrochenem Weiß öffneten, fanden sie ihn mit Lebensmitteln geradezu voll gestopft. Unter Gemurmel begutachtete Nakata die einzelnen Lebensmittel. Dann nahm er Eier, Paprika und Butter heraus. Er wusch die Paprika und schnitt sie in feine Streifen, die er anbriet. Die Eier verrührte er in einer Schale. Nun wählte er eine Pfanne in passender Größe aus und bereitete geschickt zwei Paprika-Omeletts zu. Noch ein paar Scheiben Toast, und er brachte ein Frühstück für zwei auf den Tisch. Schließlich goss er noch schwarzen Tee auf.
»Du kannst das ja richtig gut«, sagte Hoshino anerkennend.
»Toll!«
»Nakata hat doch immer allein gelebt und ist daran gewöhnt.«
»Ich wohne auch allein, aber Kochen kann ich null.«
»Nakata hat Zeit und nichts anderes zu tun.«
Sie verspeisten ihr Brot und ihre Omeletts. Weil beide danach noch immer Hunger hatten, briet Nakata nun Speck und Kohl. Dazu aßen sie jeder noch zwei Scheiben Toast, dann fühlten sie sich endlich wieder halbwegs menschlich.
Sie machten es sich auf dem Sofa bequem und tranken ihren Tee.
»Also«, sagte Hoshino. »Du hast einen Menschen getötet, alter Freund.«
»Ja, Nakata hat einen Menschen getötet«, sagte Nakata und berichtete, wie er Johnnie Walker erstochen hatte.
»Donnerwetter«, sagte Hoshino. »Eine tolle Geschichte. Aber wenn du die erzählst – da kannst du noch so ehrlich sein – glaubt dir die Polizei kein Wort. Noch vor kurzem hätte ich dir das auch nicht abgenommen, aber inzwischen glaub ich dir alles.«
»Nakata versteht das alles ja auch nicht.«
»Immerhin wurde ein Mensch ermordet, und das kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Polizei ist ernsthaft an dem Fall dran und fahndet nach dir. Bis nach Shikoku sind sie dir gefolgt.«
»Und Herr Hoshino bekommt auch noch Schwierigkeiten.«
»Aber stellen willst du dich nicht?«
»Nein«, sagte Nakata mit ungewöhnlichem Nachdruck. »Zuerst ja, aber jetzt nicht mehr. Denn Nakata muss etwas anderes tun. Wenn er jetzt zur Polizei geht, kann er das nicht zu Ende führen. Und die Reise nach Shikoku hätte keinen Sinn mehr.«
»Du musst den Eingang, den wir geöffnet haben, wieder schließen?«
»Jawohl, Herr Hoshino, genauso ist
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