Kafka am Strand
mit dem Tod und sprichst dich sozusagen mit ihm aus.«
Am Zaun steigt Sada aus und schließt das Tor ab. Er rüttelt noch ein paar Mal daran, um sich zu vergewissern, dass es wirklich zu ist.
Lange Zeit schweigen wir. Für die Fahrt stellt er einen Musiksender ein, aber ich weiß, dass er nicht richtig zuhört. Er hat die Musik nur pro forma eingeschaltet und merkt gar nicht, dass die Übertragung krachend abbricht, sooft wir durch einen Tunnel fahren. Da die Klimaanlage kaputt ist, lässt er, auch als wir schon auf der Autobahn sind, die ganze Zeit das Fenster offen.
»Wenn du Lust hast, Surfen zu lernen, kannst du zu mir kommen«, sagt er, als die Inlandsee in Sicht kommt. »Ich hab ein leeres Zimmer. Du kannst also bleiben, solange du willst.«
»Danke«, sage ich. »Irgendwann komme ich. Wann das sein wird, weiß ich nicht.«
»Hast du viel zu tun?«
»Ich glaube, es gibt ein paar Dinge, die ich klären muss.«
»Die habe ich auch«, sagt Sada. »Nichts, worauf ich stolz sein könnte.«
Danach verfallen wir wieder in langes Schweigen. Er denkt über seine Probleme nach und ich über meine. Er hat den Blick nach vorn gerichtet, und seine Linke ruht auf dem Steuer. Mitunter raucht er eine Zigarette. Im Gegensatz zu Oshima fährt er nicht rasant. Den rechten Ellbogen auf der Kante des geöffneten Fensters, bleibt er gelassen im vorgeschriebenen Tempo auf der linken Fahrspur. Nur wenn ein sehr langsames Auto vor uns auftaucht, wechselt er auf die Überholspur, gibt fast unwillig Gas und schert dann gleich wieder ein.
»Sind Sie schon lange Surfer?«, frage ich ihn.
»Eigentlich schon.« Wieder Schweigen. Ich habe schon fast vergessen, dass ich eine Frage gestellt hatte, als endlich die Antwort kommt.
»Ich surfe seit der Oberschule. Damals nur zum Vergnügen. Zu meinem Beruf habe ich es erst vor rund sechs Jahren gemacht. Bis dahin war ich bei einer großen Werbeagentur in Tokyo beschäftigt. Die Arbeit hat mich so angeödet, dass ich gekündigt habe und hierher zurückgekommen bin. Ich habe meine Ersparnisse genommen, mir von meinen Eltern Geld geliehen und den Surfer-Laden aufgemacht. Ich bin nicht verheiratet, also kann ich so ziemlich machen, was ich will.«
»Wollten Sie nach Shikoku zurück?«
»Das auch«, sagt er. »Ohne das Meer und die Berge vor der Tür fühle ich mich nicht wohl. Als Mensch definiert man sich bis zu einem gewissen Grad über den Ort, an dem man geboren und aufgewachsen ist. Denken und Fühlen stehen wahrscheinlich mit der Topografie, der Temperatur und der Windrichtung dort in Beziehung. Wo bist du denn geboren?«
»In Tokyo. In Nogata im Bezirk Nakano.«
»Willst du nach Nakano zurück?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein.«
»Warum nicht?«
»Es gibt keinen Grund für mich, dorthin zurückzugehen.«
»Aha«, sagt er.
»Mit der Topografie und der Windrichtung dort bin ich auch nicht so stark verbunden, glaube ich.«
»Verstehe«, sagt er.
Dann schweigen wir wieder, aber anscheinend stört Sada das Schweigen nicht. Mich stört es auch nicht besonders. Geistesabwesend höre ich der Musik aus dem Radio zu. Er schaut die ganze Zeit nach vorn auf die Straße. Wir fahren von der Autobahn ab und nordwärts nach Takamatsu hinein.
Wir kommen noch vor ein Uhr nachmittags bei der Komura-Bibliothek an. Sada setzt mich vor der Bibliothek ab und fährt, ohne auszusteigen, gleich nach Kochi zurück. Er schaltet nicht einmal den Motor ab.
»Danke«, sage ich.
»Bis bald.«
Er streckt die Hand aus dem Fenster, winkt einmal kurz, lässt seine dicken Reifen quietschen und fährt davon. Zurück zu den hohen Wellen, in seine eigene Welt, zu seinen eigenen Problemen.
Ich schultere meinen Rucksack, gehe durch das Tor der Komura-Bibliothek und atme den Duft der Bäume in ihrem gepflegten Garten ein. Mir ist, als hätte ich die Bibliothek vor Monaten zum letzten Mal gesehen. Dabei ist es bei näherer Betrachtung erst vier Tage her.
Oshima sitzt an der Theke. Ausnahmsweise hat er sich eine Krawatte umgebunden, eine senffarben und grün gestreifte über einem blendend weißen Oberhemd, dessen Ärmel er bis zum Ellbogen aufgerollt hat. Ein Jackett trägt er nicht. Vor ihm steht die übliche Kaffeetasse. Daneben liegen zwei lange, gespitzte Bleistifte.
»Hallo«, sagt Oshima. Sein Lächeln ist unverändert.
»Guten Tag«, begrüße ich ihn.
»Mein Bruder hat dich hergebracht, oder?«
»Ja.«
»Bestimmt hat er wieder kaum geredet«, sagt Oshima.
»Doch, wir haben uns schon ein
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