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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Wir hatten schon viele B-29-Formationen zu Gesicht bekommen, und ein Flugzeug, das so hoch flog, kann nur eine B-29 gewesen sein. In der Präfektur gab es zwar eine kleine Fliegerbasis, und wir hatten auch manchmal japanische Flugzeuge gesehen, aber sie waren alle klein und hätten nie eine solche Höhe erreichen können. Dieser Aluminium-Glanz, der sich von dem anderer Metalle unterscheidet, war außerdem typisch für die B-29. Was mich nur ein bisschen wunderte, war, dass es sich nicht um ein Geschwader, sondern nur um eine einzelne Maschine handelte.
     
    Sie stammen aus dieser Gegend?
     
    Nein. Ich bin in der Präfektur Hiroshima geboren. Nach meiner Hochzeit Showa 16 [1931] kam ich hierher, weil mein Mann an der hiesigen Mittelschule als Musiklehrer beschäftigt war. Aber Showa 18 wurde er eingezogen und ist im Juni Showa 20 im Kampf um Luzon gefallen. Er bewachte ein Munitionsdepot in einem Vorort von Manila, das von den Amerikanern bombardiert wurde und in Brand geriet. Dabei ist er umgekommen, habe ich gehört. Kinder hatten wir keine.
     
    Wie viele Schüler nahmen damals an dem Ausflug teil?
     
    Insgesamt sechzehn. Außer zweien, die krank waren, die ganze Klasse. Acht Jungen und acht Mädchen. Fünf von ihnen waren aus Tokyo evakuiert.
    Morgens gegen neun waren wir mit Thermosflaschen und Proviant von der Schule zu unserem »Freiluftunterricht« aufgebrochen. Zumindest nannte man es damals Freiluftunterricht, aber eigentlich war damit kein besonderer Unterricht verbunden. Hauptziel war es, in den Wäldern Pilze oder essbare Kräuter zu suchen. Dank der vielen Landwirtschaft in unserer Gegend waren Nahrungsmittel nicht ganz so knapp, aber doch keinesfalls reichlich vorhanden. Die Zwangsabgaben waren ziemlich hoch, und der größere Teil der Einwohner war chronisch unterernährt.
    So wurden auch die Kinder dazu angehalten, nach Essbarem zu suchen. In den damaligen Notzeiten kam der normale Unterricht zugunsten solcher Ausflüge öfter zu kurz, denn in der Umgebung der Schule gab es Natur und für den »Freiluftunterricht« geeignete Plätze in Hülle und Fülle. So gesehen hatten wir noch Glück. In den Städten mussten alle hungern. Zu der Zeit war der Nachschub aus Taiwan und vom Festland völlig zusammengebrochen, und in den städtischen Regionen herrschte kritischer Nahrungs- und Brennstoffmangel.
     
    In der Klasse waren also fünf Kinder, die man aus Tokyo evakuiert hatte. Vertrugen sie sich mit den einheimischen Kindern?
     
    In meiner Klasse lief es im großen und ganzen gut. Natürlich ist es ein großer Unterschied, ob man auf dem Land oder mitten in Tokyo aufwächst. Die Kinder unterschieden sich der Sprache und auch der Kleidung nach. Während die Mehrzahl der einheimischen Kinder aus armen Bauernfamilien stammten, waren die Eltern der meisten Kinder aus Tokyo Angestellte oder Beamte. Daher kann man eigentlich nicht sagen, dass sie sich richtig verstanden.
    Besonders zu Anfang herrschte eine gespannte Atmosphäre zwischen den beiden Gruppen. Nicht mal, dass sie sich stritten oder gegenseitig ärgerten, sie konnten nur so gar nichts miteinander anfangen. Also blieben die einheimischen Kinder unter sich und die Kinder aus Tokyo auch. Aber nach etwa zwei Monaten hatten sie sich aneinander gewöhnt. Wenn Kinder einmal ins Spiel vertieft sind, verschwinden die Barrieren von Kultur und Herkunft ganz automatisch.
     
    Bitte beschreiben Sie möglichst ausführlich den Ort, an den Sie die Kinder an jenem Tag führten.
     
    Es ist ein kleiner Berg, auf den wir häufiger Ausflüge unternahmen. Er hat eine runde Form, wie eine umgedrehte Reisschale, und wir nennen ihn deshalb im allgemeinen den Reisschalenberg. Er ist nicht besonders steil, so dass jeder ihn leicht besteigen kann. Von der Schule muss man ein Stück nach Westen gehen. Mit Kindern braucht man etwa zwei Stunden bis zur Kuppe. Unterwegs sammelten wir im Wald Pilze und hielten ein einfaches Picknick ab. Den Kindern machte dieser »Freiluftunterricht« ohnehin mehr Spaß als der reguläre Unterricht im Klassenzimmer.
    Das glänzende flugzeugähnliche Ding hoch am Himmel rief uns zwar den Krieg wieder ins Gedächtnis, aber nur kurz, denn insgesamt waren wir sehr guter Stimmung und vergnügt. Kein Wölkchen stand am Himmel, kein Lüftchen wehte, es war ruhig. Außer Vogelgezwitscher war nichts zu hören. Inmitten dieser Ruhe erschien mir der Krieg unendlich fern, als hätte er gar nichts mit uns zu tun. Singend wanderten wir den Bergpfad hinauf.

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