Kafka am Strand
die Veranda hinauf, streckt die Hand aus und berührt mich leicht am Kopf. Erschrocken springe ich hoch und greife nach einem Handtuch, um mich zu bedecken, aber es ist nicht in Reichweite.
»Mach dir nichts draus«, sagt Oshima. »Wenn ich allein hier war, habe ich mich auch immer nackt gesonnt. Es tut gut, auch einmal die Körperteile der Sonne auszusetzen, an die sonst kein Licht kommt, oder?«
Nackt vor Oshima zu stehen, nimmt mir fast den Atem. Mein Schamhaar, mein Penis und meine Hoden sind von der Sonne beschienen. Sie wirken sehr angreifbar und verletzlich. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mich hektisch zu verhüllen, dafür ist es jetzt ohnehin zu spät.
»Hallo«, sage ich. »Sind Sie zu Fuß gekommen?«
»Es ist so herrliches Wetter, dass ich mich nicht bremsen konnte. Ich hab das Auto am Tor stehen lassen und bin heraufgewandert«, sagt er und reicht mir das Handtuch, das über dem Geländer hängt. Ich wickle es mir um die Hüften und kann mich endlich etwas entspannen.
Ein Liedchen summend setzt er Wasser auf, rührt in die Milch aus seinem Rucksack eine Backmischung, erhitzt eine Pfanne und backt Pfannkuchen. Mit Butter und Sirup. Salat, Tomaten und Zwiebeln hat er auch mitgebracht. Beim Zubereiten des Salats hantiert er sehr vorsichtig und langsam mit dem Messer. Wir essen zu Mittag.
»Wie waren die drei Tage?«, fragt Oshima, während er seinen Pfannkuchen schneidet.
Ich erzähle ihm, wie viel Spaß mir das Leben hier macht, behalte jedoch für mich, dass ich in den Wald gegangen bin. Irgendwie finde ich es so besser.
»Das freut mich«, sagt Oshima. »Ich hab mir schon gedacht, dass es dir gefällt.«
»Aber jetzt fahren wir in die Stadt zurück.«
»Ja, jetzt geht’s zurück in die Stadt.«
Wir treffen unsere Vorbereitungen. Packen rasch alles zusammen und räumen die Hütte auf. Waschen das Geschirr ab, stellen es in den Schrank und reinigen den Ofen. Gießen das Wasser im Eimer aus und schließen das Ventil der Propangasflasche. Fegen den Boden und wischen Tisch und Stühle ab. Schaufeln ein Loch und vergraben den Abfall. Jedes Fitzelchen Plastik nehmen wir mit.
Oshima schließt die Hütte ab. Noch einmal wende ich mich um und werfe einen Blick zurück. Obwohl die Hütte gerade noch ganz real gewesen ist, kommt sie mir jetzt irgendwie unwirklich vor. Die Dinge dort scheinen schon nach wenigen Schritten ihre Realität zu verlieren. Sogar mein Ich, das gerade noch dort gewesen ist, kommt mir unwirklich vor. Bis zu der Stelle, an der Oshima seinen Wagen abgestellt hat, braucht man zu Fuß etwa eine halbe Stunde. Auf dem Weg hinunter sprechen wir kaum. Oshima singt die ganze Zeit eine Melodie vor sich hin. Ich hänge unzusammenhängenden Gedanken nach.
Beinahe unsichtbar zwischen den Bäumen wartet der kleine grüne Sportwagen auf Oshimas Rückkehr. Damit sich kein Fremder dorthin verirrt (oder dort eindringt), schließt Oshima das Tor, wickelt die Kette zweimal herum und lässt das Schloss einschnappen. Mein Rucksack wird wie auf der Herfahrt hinten auf den Gepäckträger gebunden. Oshima öffnet das Verdeck. »Wir fahren jetzt in die Stadt zurück«, sagt er.
Ich nicke.
»Es ist fantastisch, allein in der Natur zu leben, aber es ist nicht leicht, sein Leben dort zu verbringen«, sagt Oshima. Er setzt seine Sonnenbrille auf und schnallt sich an.
Auch ich lege meinen Sicherheitsgurt an.
»Theoretisch kann man das – es gibt wirklich solche Menschen. Doch in gewissem Sinne ist die Natur unnatürlich. Der Frieden ist bedrohlich. Man muss die Erfahrung und Bereitschaft haben, diesen Antagonismus zu akzeptieren. Also fahren wir erst mal in die Stadt zurück. In die Betriebsamkeit der menschlichen Gesellschaft.«
Oshima gibt Gas und fährt die Bergpiste hinunter. Anders als auf der Hinfahrt fährt er gelassen und ohne Hast. Er genießt die sich vor uns ausbreitende Landschaft und den Fahrtwind, der seine langen Stirnhaare zaust und uns in die Sitze drückt. Bald ist die Piste zu Ende, und wir gelangen auf die schmale, aber asphaltierte Straße. Kleine Dörfer und Felder kommen in Sicht.
»Wo wir gerade bei Widersprüchen sind«, sagt Oshima, als sei ihm das plötzlich eingefallen. »Seit ich dir das erste Mal begegnet bin, habe ich das Gefühl, dass du, obwohl du dringend nach irgendetwas auf der Suche bist, gleichzeitig verzweifelt davor fliehst. Diesen Eindruck machst du auf mich.«
»Was suche ich denn?«
Oshima schüttelt den Kopf. Er schaut in den Rückspiegel und runzelt
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