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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Saeki akzeptiert mich. Auch dass du erst fünfzehn und von zu Hause abgehauen bist, stellt kein besonderes Problem dar. Was hältst du davon, ein Teil der Bibliothek zu werden?«
    Ich überlege. »Ich wollte ein Dach über dem Kopf und einen Platz zum Schlafen«, sage ich dann. »Mehr nicht. Über alles Weitere habe ich nicht nachgedacht. Ich weiß nicht genau, was es heißt, ein Teil der Bibliothek zu sein. Aber ich bin sehr dankbar, dass Sie mich in der Bibliothek wohnen lassen. Dann brauche ich auch nicht mehr mit der Bahn dorthin zu fahren.«
    »Dann ist es also entschieden«, sagt Oshima. »Ich bringe dich jetzt hin. Und du wirst ein Teil der Bibliothek. «
    Wir fahren die Landstraße entlang und lassen mehrere Ortschaften hinter uns. Riesige Werbeschilder für Kreditbüros, übertrieben grell aufgemachte Tankstellen, gläserne Raststätten, ein Love Hotel in Form eines europäischen Schlosses, ein Videoverleih, von dem nur noch das kaputte Schild übrig ist, Pachinko-Hallen mit riesigen Parkplätzen – das sind die Anblicke, die nun vor unseren Augen auftauchen. Mac-Donald’s, Seven Eleven, Lawson, Sky Lark, Denise … Die von Lärm erfüllte Wirklichkeit holt uns ein. Druckluftbremsen großer Lastwagen, Hupen, Abgase. Plötzlich sind die heimeligen Flammen im Ofen, das Funkeln der Sterne und die Stille des Waldes, die mich bis gestern begleitet haben, in weiter Ferne verschwunden. Ich kann mich nicht einmal mehr richtig an sie erinnern.
    »Ich möchte dir ein bisschen von Frau Saeki erzählen«, sagte Oshima. »Meine Mutter war als kleines Mädchen ihre Klassenkameradin und ist eng mit ihr befreundet. Meine Mutter sagt, Frau Saeki sei ein hochintelligentes Kind mit hervorragenden Noten gewesen. Sie konnte ausgezeichnete Aufsätze schreiben, war eine Sportskanone und spielte außerdem sehr gut Klavier. In allem war sie die Beste. Dazu noch ausgesprochen hübsch. Das ist sie natürlich immer noch, oder?«
    Ich nicke.
    »Seit der Grundschule hatte sie einen festen Freund, den ältesten Sohn der Komuras. Die beiden waren im gleichen Alter, ein hübsches Mädchen und ein hübscher Junge. Wie Romeo und Julia. Sie waren sogar entfernte Verwandte. Ihre Elternhäuser lagen nah beieinander, alles, was sie taten, taten sie gemeinsam, und überall gingen sie zusammen hin. Sie fühlten sich ganz spontan zueinander hingezogen, und als sie größer waren, verliebten sie sich ineinander. Kurzum, sie waren ein Herz und eine Seele. So hat meine Mutter es mir erzählt.«
    Als wir an einer Ampel halten, schaut er in den Himmel. Bei Grün gibt er Gas und überholt einen Tankwagen.
    »Erinnerst du dich an das, was ich dir einmal in der Bibliothek erzählt habe? Dass die Menschen stets auf der Suche nach ihrer anderen Hälfte sind?«
    »Die Geschichte von den drei Geschlechtern?«
    »Genau die. Von Aristophanes. Die meisten von uns sind zu einem kümmerlichen Dasein auf der verzweifelten Suche nach ihrer anderen Hälfte verdammt. Doch Frau Saeki und ihr Freund brauchten nicht zu suchen. Die beiden hatten tatsächlich ihr Gegenüber gefunden.«
    »Sie hatten Glück.«
    Oshima nickt. »Unbeschreibliches Glück. Bis zu einem gewissen Punkt.«
    Oshima streicht sich wie nach dem Rasieren mit der Handfläche über die Wangen. Auf seinen Wangen ist jedoch nicht eine Bartstoppel zu sehen. Sie sind glatt wie Porzellan.
    »Mit achtzehn ging der junge Mann nach Tokyo an die Universität. Seine Noten waren gut, er wollte studieren. Und außerdem die Großstadt kennen lernen. Sie schrieb sich an einer hiesigen Musikhochschule ein und beschloss, im Hauptfach Klavier zu studieren. Die Gegend hier ist konservativ, und auch sie war konservativ erzogen. Sie war die einzige Tochter, und ihre Eltern wünschten nicht, dass sie nach Tokyo ging. So wurden die beiden zum ersten Mal in ihrem Leben getrennt. Als hätten die Götter sie mit einem Messer auseinander geschnitten.
    Natürlich schrieben sich die beiden fast täglich. ›Wahrscheinlich ist es wichtig, einmal auf diese Weise getrennt zu sein‹, schrieb er. ›Dadurch können wir uns vergewissern, wie sehr wir einander wirklich lieben und brauchen.‹ Sie war freilich nicht dieser Meinung, denn sie wusste, dass ihre Verbindung so durch und durch wahrhaftig war, dass sie keiner oberflächlichen Prüfung bedurfte. Es war eine schicksalhafte Verbindung, wie sie bei einer Million Menschen einmal vorkommt, und diese Trennung war von vornherein eine Unmöglichkeit. Das wusste sie. Er wusste es nicht.

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