Kafka am Strand
Klinge. Dann schnitt er sich versuchsweise rasch in den Handrücken. Sogleich quoll Blut hervor und tropfte auf den Schreibtisch. Auch auf Mimi fielen Blutstropfen. Johnnie Walker kicherte. »Ein Mensch ist kein Mensch mehr«, wiederholte er. »Du bist nicht mehr du. Das ist es, Nakata! Herrlich. Jedenfalls ist es sehr wichtig. ›O du! Skorpione stechen mir durchs Hirn!‹ – wieder Macbeth.«
Nakata erhob sich wortlos von seinem Sitz. Niemand, nicht einmal Nakata selbst, wäre imstande gewesen, diese Tat aufhalten. Er tat einen großen Schritt nach vorn und griff unbeirrt nach dem Messer, das auf dem Schreibtisch lag. Es war groß und hatte die Form eines Steakmessers. Nakata umklammerte den Holzgriff und stieß Johnnie Walker die Klinge skrupellos fast bis zum Heft in die Brust. Er stach einmal in die schwarze Weste, zog das Messer heraus und stach abermals mit aller Kraft zu. Ein lautes Geräusch ertönte nah an seinem Ohr. Zuerst wusste Nakata nicht, was es war. Es war Johnnie Walkers lautes Gelächter. Ungeachtet des Messers tief in seiner Brust und des hervorquellenden Blutes lachte er anhaltend und lauthals.
»Genau, so ist es gut«, rief er. »Du hast mich skrupellos erstochen. Ausgezeichnet!«
Auch als er zu Boden stürzte, lachte Johnnie Walker immer weiter.
»Hahahahahahaha.« Ein unheimliches, unerträgliches Gelächter, das sich freilich bald in ein Schluchzen verwandelte, als aus seiner Kehle Blut hervorsprudelte. Nun klang es wie das Gurgeln eines verstopften Abflussrohrs. Dann durchliefen heftige Krämpfe seinen ganzen Körper, und aus seinem Mund brach ein Schwall von Blut hervor, mit dem mehrere schleimige, schwarze Klumpen herausstürzten. Es waren die Katzenherzen, die er gerade verschlungen hatte. Die blutige Flut ergoss sich über den Schreibtisch und über Nakatas Golfanzug, sodass Johnnie Walker und Nakata nun beide völlig von Blut überströmt waren. Auch Mimi, die auf dem Schreibtisch lag, war voller Blut.
Auf einmal sank Johnnie Walker Nakata vor die Füße und starb. Daran gab es keinen Zweifel. Er legte sich auf die Seite und rollte sich zusammen wie ein Kind in einer kalten Nacht. Mit der linken Hand fasste er sich an den Hals, während seine rechte gerade nach vorn gestreckt war, als greife er nach etwas. Die Krämpfe verebbten, und auch das laute Lachen erstarb ganz von selbst. Nur der leichte Schatten seines kalten Lächelns blieb, als wäre es durch irgendeine Reaktion für immer dort fixiert. Auf dem Dielenboden breitete sich eine Blutlache aus, der Zylinder war Johnnie Walker vom Kopf gefallen, als er zu Boden stürzte, und in eine Ecke des Zimmers gerollt. Das Haar an Johnnie Walkers Hinterkopf war schütter, sodass die Kopfhaut hervorschaute. Ohne seinen Hut wirkte er ältlich und etwas kläglich.
Nakata ließ das Messer fallen. Das Metall schepperte laut, als es auf dem Boden aufschlug. Ein Ton, als wäre das Zahnrad einer großen Maschine um einen Zahn vorgerückt. Lange stand Nakata reglos neben der Leiche. Im Zimmer herrschte Totenstille. Die einzige Bewegung war das geräuschlos fließende Blut. Die Lache breitete sich allmählich immer mehr aus. Endlich kam Nakata wieder zu sich und hob die auf dem Schreibtisch liegende Mimi auf. Ihr Körper war warm und schlaff. Obwohl sie voller Blut war, schien sie nicht verletzt zu sein. Sie starrte Nakata an, als wolle sie etwas sagen. Doch die Wirkung der Droge hinderte sie am Sprechen.
Nun entdeckte Nakata in dem Koffer auch Goma und hob sie mit der rechten Hand hoch. Auch wenn er sie nur von dem Foto her kannte, empfand er eine natürliche Rührung, wie beim Wiedersehen mit einer alten Bekannten.
»Kleine Goma«, sagte Nakata.
Beide Katzen im Arm, setzte er sich auf das Sofa.
»Jetzt geht’s nach Hause«, sagte er zu ihnen, aber er konnte nicht aufstehen. Von irgendwoher tauchte der schwarze Hund wieder auf und legte sich neben Johnnie Walkers Leiche. Vielleicht leckte er an dem Blut, das sich wie ein See auf dem Boden ausbreitete. Aber Nakata wusste es nicht genau. Sein Kopf fühlte sich schwer und benommen an. Er seufzte tief und schloss die Augen. Das Bewusstsein schwand ihm, und er versank in lichtlose Dunkelheit.
17
Es ist meine dritte Nacht in der Hütte. Inzwischen habe ich mich an den Tagesablauf, an die Stille und auch an die undurchdringliche Dunkelheit gewöhnt. Ich fürchte die Nacht nicht mehr. Ich entzünde Holz im Ofen, stelle meinen Stuhl davor und lese. Wenn ich zum Lesen zu müde werde, starre ich
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