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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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die Stirn. »Ja, was wohl? Das weiß ich doch nicht. Ich habe nur meinen Eindruck geäußert.«
    Ich schweige.
    »Meiner Erfahrung nach läuft es so: Je dringender man etwas sucht, desto weniger findet man es. Aber wenn man einer Sache entkommen will, stößt man wie von selbst auf sie. Das ist natürlich eine Binsenweisheit.«
    »Wie ließe sie sich denn in meinem Fall anwenden? Wenn ich, wie Sie sagen, etwas suche, aber gleichzeitig auch auf der Flucht davor bin?«
    »Eine schwierige Frage«, sagt Oshima und lacht. Es vergeht eine Weile, bis er wieder spricht. »Ich würde sagen: Du wirst diesem Etwas, das du suchst, nicht in der Form begegnen, die du erwartest.«
    »Klingt wie eine unheilvolle Prophezeiung.«
    »Kassandra.«
    »Kassandra?«, fragte ich.
    »Eine griechische Tragödie. Kassandra war eine Wahrsagerin und Prinzessin von Troja. Sie wurde Tempelpriesterin und erhielt von Apollo die Gabe der Prophetie. Dafür sollte sie sich ihm hingeben, und als sie sich weigerte, verfluchte er sie. Die griechischen Götter sind eher mythisch als religiös zu sehen. Immerhin haben sie die gleichen charakterlichen Mängel wie wir Menschen. Sie sind jähzornig, launisch, eifersüchtig und vergesslich.«
    Er nahm eine kleine Dose mit Zitronendrops aus dem Handschuhfach und warf sich eins in den Mund. Als er mir auch einen anbot, nahm ich ihn und steckte ihn in den Mund.
    »Was war das für ein Fluch?«
    »Der Fluch, der über Kassandra ausgesprochen wurde?«
    Ich nicke.
    »Ihre Weissagungen sollten immer eintreffen, aber niemand würde sie glauben. Das war der Fluch des Apollo. Kassandras Weissagungen waren immer unheilvoll – Verrat, Unglück, Niederlagen des Landes.
    Daher glaubten ihr die Menschen nicht, sondern verachteten und hassten sie. Falls du sie noch nicht kennst, solltest du die Stücke von Euripides und Aischylos lesen. Darin werden die essentiellen Probleme ihrer Zeit sehr deutlich beschrieben. Durch den Chorus.«
    »Chorus?«
    »Im griechischen Theater trat ein Chor auf, der hinter der Bühne stand, das Geschehen kommentierte, für die tieferen Bewusstseinsschichten der dargestellten Personen sprach und ihnen zuweilen heftig zuredete. Eine sehr praktische Einrichtung. Manchmal glaube ich, es wäre gut, auch so eine Gruppe hinter mir zu haben.«
    »Haben Sie die Gabe der Weissagung, Herr Oshima?«
    »Nein«, sagt er. »Zum Glück – oder zu meinem Unglück – besitze ich sie nicht. Wenn es sich so anhört, als würde ich andauernd nur Unheil verkünden, liegt das daran, dass ich ein überaus vernünftiger Realist bin. Im Allgemeinen neige ich zur Deduktion, und das hört sich oft an wie negative Voraussagen. Warum? Weil die Realität für mich die Summe eingetretener schlechter Prophezeiungen ist. Das ist ja nicht schwer zu begreifen. Man braucht nur an einem x-beliebigen Tag eine Zeitung aufzuschlagen und die darin enthaltenen guten und schlechten Nachrichten gegeneinander abzuwägen.«
    In jeder Kurve schaltet Oshima behutsam herunter. Er schaltet geschmeidig, ohne dass der Wagen ruckelt. Lediglich das Geräusch des Motors verändert sich dabei.
    »Eine gute Nachricht habe ich immerhin«, verkündet Oshima.
    »Wir haben beschlossen, dich aufzunehmen. Du wirst Angestellter der Komura-Bibliothek. Du bist ganz sicher dafür qualifiziert.«
    Spontan sehe ich Oshima an. »Heißt das, dass ich in der Komura-Bibliothek arbeiten werde?«
    »Präziser ausgedrückt, du wirst von jetzt an ein Teil der Komura-Bibliothek sein. Du wirst in der Bibliothek übernachten und dort leben. Wenn sie geöffnet ist und auch, wenn sie geschlossen ist. Du führst ein geregeltes Leben und bist kräftig, also wird die Arbeit keine große Belastung für dich sein. Aber für mich und Frau Saeki wird deine Anwesenheit eine große Erleichterung bedeuten, denn wir sind beide nicht besonders kräftig. Du hast ein paar tägliche Pflichten. Nichts Schwieriges – zum Beispiel, einen guten Kaffee für mich zu kochen oder kleine Einkäufe zu erledigen … Ein Zimmer steht dir zur Verfügung. Ein der Bibliothek angeschlossenes Zimmer mit Dusche. Früher war es ein Gästezimmer, aber da wir keine Gäste mehr haben, wird es nicht mehr benutzt. Dort wirst du wohnen. Das Praktischste daran ist, dass du so viel lesen kannst, wie du magst.«
    »Wie …«, setze ich an, aber mir fehlen die Worte.
    »Wie das möglich ist?«, ergänzt Oshima. »Im Prinzip ganz einfach. Ich verstehe dich, und Frau Saeki versteht mich. Ich akzeptiere dich, und Frau

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