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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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macht alles nur schlimmer. Durch Augenschließen verschwindet doch nichts. Im Gegenteil, wenn du beim nächsten Mal die Augen auflässt, kommt es dir noch schrecklicher vor. So ist eben die Welt, in der wir leben, mein lieber Nakata. Und wir müssen wacker die Augen aufhalten. Die Augen zu verschließen ist etwas für Schwächlinge. Nur Feiglinge wenden den Blick von der Realität ab. Auch wenn du Augen und Ohren verschließt, tickt die Zeit. Tick-tack, tick-tack.«
    Gehorsam schlug Nakata die Augen auf. Nachdem sich Johnnie Walker davon überzeugt hatte, verspeiste er demonstrativ Kawamuras Herz. Er aß es noch langsamer und genüsslicher als die anderen.
    »Weich und warm, wie frische Aalleber«, sagte er. Er steckte seinen blutverschmierten Zeigefinger in den Mund, lutschte daran, zog ihn heraus und hielt ihn in die Höhe. »Wer diesen Geschmack einmal gekostet hat, wird süchtig danach und kann ihn nicht vergessen. Besonders diese dickflüssige Konsistenz des Blutes ist unbeschreiblich.«
    Er wischte mit einem Tuch das geronnene Blut ab, das am Skalpell klebte, und trennte dann fröhlich pfeifend Kawamuras Kopf mit der Kreissäge ab, deren winzige Zähne sich knirschend durch die Knochen frästen. Blut spritzte.
    »Bitte, Herr Johnnie Walker, Nakata kann das nicht mehr aushalten.«
    Johnnie Walker hörte auf zu pfeifen, unterbrach sein Tun, hob die Hand an die Seite seines Gesichts und kratzte sich am Ohrläppchen.
    »Geht nicht, mein lieber Nakata. Im Augenblick passt das sehr schlecht. Bedauerlicherweise kann ich jetzt nicht ›gut, ich verstehe‹ sagen und aufhören. Ich hab’s dir gesagt – wir sind im Krieg, und es ist sehr schwierig, einen einmal begonnenen Krieg mittendrin zu beenden. Ist das Schwert einmal gezogen, muss Blut vergossen werden. Das hat nichts mit Vernunft oder Logik zu tun. Und auch nichts mit mir. Es ist nur eine Vorschrift. Das heißt, wenn du nicht willst, dass noch mehr Katzen getötet werden, bleibt dir nichts anderes übrig, als mich zu töten. Aufstehen, alle Kraft zusammennehmen und entschlossen töten. Und zwar jetzt sofort. Dann ist alles vorbei. Endgültig.«
    Johnnie Walker sägte nun pfeifend Kawamuras Kopf zu Ende ab und warf den kopflosen Kadaver schwungvoll in den Müllsack. Drei Katzenköpfe lagen nun auf der Metallplatte. Trotz der durchlittenen Qualen waren die Gesichter ausdruckslos, seltsam leer, wie die Gesichter der Katzen im Kühlschrank.
    »Die nächste ist eine Siamkatze«, tönte Johnnie Walker und zog eine schlaffe Siamkatze aus der Tasche. Natürlich war es Mimi.
    »Der Name kommt von ›Sie nennen mich Mimi‹, nicht? Aus der Oper von Puccini. Bestimmt vermag diese Katze die Atmosphäre eleganter Koketterie nachzuempfinden. Auch ich liebe Puccini. Seine Musik hat etwas Zeitloses. Sie ist populär, aber seltsamerweise nicht altmodisch. Eine fantastische künstlerische Leistung.«
    Johnnie Walker pfiff eine Passage aus »Sie nennen mich Mimi«.
    »Es war ein schweres Stück Arbeit, Mimi zu fangen, das kann ich dir sagen. Alert und vorsichtig ist sie und sehr schnell im Kopf, sodass ich sie lange nicht erwischen konnte. Die Schwierigste der Schwierigen. Aber auf der ganzen weiten Welt gibt es keine Katze, die den Händen des berühmten, beispiellosen Katzenmörders, Seiner Exzellenz Herr Johnnie Walker, entkommen kann. Ich will mich nicht loben, ich konstatiere lediglich den Umstand, dass es sehr schwer war, sie zu fangen …. Doch voilà, hier ist sie, die Siamkatze Fräulein Mimi. Siamkatzen liebe ich über alles. Du kannst es nicht wissen, aber Siamkatzenherz ist eine Delikatesse. Es schmeckt süperb. Wie Trüffel. Alles in Ordnung, kleine Mimi. Keine Sorge. Dein niedliches warmes Herzchen wird dem alten Johnnie Walker köstlich munden. Oh, wie es pocht!«
    »Herr Johnnie Walker!«, sagte Nakata mit einer Stimme, die er tief aus seinem Bauch herauszupressen schien. »Bitte, hören Sie auf damit. Wenn Sie weitermachen, wird Nakata verrückt. Nakata hat das Gefühl, nicht mehr Nakata zu sein.«
    Johnnie Walker legte Mimi auf den Schreibtisch. Langsam ließ er seinen Finger wie gewohnt in gerader Linie über ihren Bauch kriechen.
    »Du bist nicht mehr du«, sagte er ruhig und ließ sich die Wörter auf der Zunge zergehen. »Das ist sehr wichtig, mein lieber Nakata. Das heißt, ein Mensch ist kein Mensch mehr, nicht wahr?«
    Johnnie Walker nahm ein neues Skalpell vom Schreibtisch, eins, das er noch nicht benutzt hatte, und prüfte mit dem Finger die Schärfe der

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