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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Bibliotheken IBM-Computer benutzen, bin ich damit einigermaßen vertraut. Als Nächstes führt er mich in die Systematik des Katalogs ein. Täglich treffen mit der Post mehrere neue Publikationen ein, und es gehört zu seinen Aufgaben, von Hand die Karteikarten dafür auszufüllen.
    Um halb zwölf kommen zwei Besucherinnen. Beide tragen fast die gleichen Bluejeans. Die Kleinere hat kurzes Haar wie eine Schwimmerin, während die Größere einen geflochtenen Zopf hat. Beide haben Joggingschuhe an – die eine Nike, die andere Asics. Die Größere mit Brille ist um die vierzig und trägt ein kariertes Hemd, die Kleinere etwa dreißig und hat eine weiße Bluse an. Beide haben einen Tagesrucksack dabei, und ihre Gesichter sind trübselig wie ein wolkenverhangener Himmel. Sie reden kaum ein Wort. Oshima nimmt ihr Gepäck entgegen, nachdem die beiden mit mürrischen Mienen Hefte und Schreibzeug herausgeholt haben.
    Nacheinander gehen sie die Regale durch und durchforsten gründlich die Kartei. Ab und zu machen sie sich Notizen. Sie lesen in keinem Buch und setzen sich auch nie hin. Ihr ganzes Verhalten unterscheidet sich von dem der anderen Benutzer der Bibliothek. Sie scheinen die Bestände zu untersuchen und erinnern an Prüfer vom Finanzamt. Weder Oshima noch ich haben eine Ahnung, wer sie sind und was sie hier tun. Oshima wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu und zuckt leicht die Achseln. Wir haben, um es milde auszudrücken, kein besonders gutes Gefühl.
    Um die Mittagszeit nehme ich Oshimas Platz an der Theke ein, während er seinen Imbiss verzehrt.
    Eine der Frauen kommt auf mich zu. »Es gibt da etwas, das mich wundert«, sagt sie. Es ist die größere der beiden. Ihr Tonfall ist hart und trocken und weckt in mir die Assoziation von im Schrank vergessenem Brot.
    »Ja, bitte. Was denn?«
    Sie runzelt die Stirn und mustert mich mit einem Blick, als betrachte sie ein schief hängendes Bild. »Du bist doch bestimmt noch Schüler, oder?«
    »Ja. Ich mache hier ein Praktikum.«
    »Kannst du jemanden rufen, der ein bisschen mehr Ahnung hat?«
    Ich gehe in den Garten, um Herrn Oshima zu holen. Er spült den Bissen, an dem er gerade kaut, langsam mit Kaffee hinunter, bürstet sich die Brotkrümel von den Knien und begleitet mich hinein.
    »Was möchten Sie bitte wissen?«, fragt er liebenswürdig.
    »Also, meine Organisation führt eine Feldstudie über die Ausstattung kultureller Einrichtungen in ganz Japan durch, bei der es um Benutzerinnenfreundlichkeit und gleichberechtigten Zugang für Frauen geht«, erklärt sie. »Ein Jahr lang werden unsere Delegationen praktisch jede Einrichtung besuchen, sie begutachten und die Untersuchungsergebnisse dann in einem Bericht veröffentlichen. Zahlreiche Frauen sind an diesem Projekt beteiligt. Diese Region fällt in den Zuständigkeitsbereich von uns beiden.«
    »Wenn ich darf, würde ich gern den Namen Ihrer Organisation erfahren«, sagt Oshima.
    Die Frau zieht eine Visitenkarte hervor und reicht sie ihm. Aufmerksam und ohne eine Miene zu verziehen, liest Oshima sie, legt sie auf die Theke, hebt den Kopf und schaut der Frau mit einem so galanten, erstklassigen Lächeln ins Gesicht, dass jede normale Frau unwillkürlich errötet wäre. Diese jedoch zuckt nicht einmal mit der Wimper.
    »Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass diese Bibliothek leider verschiedene Mängel aufweist«, sagt sie.
    »Aus weiblicher Sicht, nicht wahr?«, fragt Oshima.
    »Ja, sicher. Aus weiblicher Sicht « , sagt die Frau und räuspert sich.
    »Ich würde gerne die Ansicht der Bibliotheksleitung dazu hören. Geht das?«
    »So etwas Aufwendiges wie eine Bibliotheksleitung haben wir hier nicht, aber ich stehe Ihnen natürlich voll und ganz zur Verfügung.«
    »Zunächst einmal gibt es hier keine Damentoilette, nicht wahr?«
    »Genau. Wir haben einen Unisex-Waschraum.«
    »In privaten Einrichtungen, die wie diese Bibliothek der Öffentlichkeit zugänglich sind, sollten doch die Toiletten für Männer und Frauen prinzipiell getrennt sein.«
    » Prinzipiell « , wiederholt Oshima ihren Ausdruck, wie um sicherzugehen.
    »Ganz recht. Eine gemeinsame Toilette für Männer und Frauen ist mit den verschiedensten Arten von Belästigung verbunden. Einer Untersuchung zufolge hat ein Großteil der Frauen ernstliche Vorbehalte, eine gemischte Toilette zu benutzen. Hier handelt es sich eindeutig um eine Missachtung der Bibliotheksbenutzerinnen.«
    »Missachtung«, sagt Oshima mit einem Ausdruck, als hätte er aus

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