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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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bin, vertritt sie mich an der Theke. Aber wenn sie nichts Besonderes im Erdgeschoss zu tun hat, ist sie oben.«
    Ich nicke.
    »Ich komme morgen früh kurz vor zehn und erkläre dir deinen Dienstplan. Bis dahin kannst du dich noch ein bisschen ausruhen.«
    »Danke für alles.«
    » My pleasure « , erwidert er auf Englisch.
    Als Oshima gegangen ist, packe ich meinen Rucksack aus, räume meine spärlichen Wäschestücke in die Kommode, hänge meine Hemden und Jacken auf, lege mein Heft und meine Stifte auf den Schreibtisch, bringe mein Waschzeug ins Bad und verstaue den Rucksack im Schrank.
    Der Raum ist völlig schmucklos, bis auf ein kleines Ölgemälde an einer Wand. Es ist ein realistisches Bild von einem Jungen am Strand und gar nicht schlecht. Vielleicht sogar von einem namhaften Künstler. Der etwa zwölfjährige Junge trägt einen weißen Sonnenhut und sitzt in einem kleinen Liegestuhl. Er hat einen Ellbogen auf die Lehne gestützt, und sein Kinn ruht in der Hand. Ein melancholischer und stolzer Ausdruck liegt auf seinem Gesicht. Neben ihm sitzt wachsam ein schwarzer deutscher Schäferhund. Im Hintergrund sieht man das Meer. Es sind noch einige andere Menschen auf dem Bild, aber sie sind so klein, dass man ihre Gesichter nicht erkennen kann. Vor der Küste liegt eine kleine Insel. Über dem Meer ballen sich wie Fäuste ein paar Wolken zusammen. Eine sommerliche Szene. Ich setze mich an den Schreibtisch und betrachte das Bild. Dabei ist mir, als könnte ich tatsächlich das Rauschen der Wellen hören und das Salzwasser riechen.
    Vielleicht ist der Junge auf dem Gemälde derselbe, der in diesem Zimmer gelebt hat. Der Junge, der genauso alt war wie Frau Saeki und den sie so geliebt hat. Der Junge, der vor dreißig Jahren in eine Auseinandersetzung zwischen Gruppen der Studentenbewegung geraten und sinnlos getötet worden ist. Ich kann es nicht nachprüfen, aber irgendwie habe ich das Gefühl. Auch der Strand passt in die Gegend hier. Dann würde das Bild eine Szene von vor vierzig Jahren darstellen. Vierzig Jahre! Das kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Ich versuche, mir mich selbst in vierzig Jahren vorzustellen, aber genauso gut könnte ich versuchen, mir das Ende des Universums vorzustellen.
     
    Am nächsten Morgen zeigt Oshima mir, wie das Offnen der Bibliothek vor sich geht. Aufschließen, Fenster öffnen und lüften, kurz den Fußboden saugen, mit einem Lappen die Schreibtische abwischen, das Wasser in den Blumenvasen wechseln, das Licht einschalten, hin und wieder den Garten gießen, und wenn es Zeit ist, das Tor öffnen. Abends läuft das Ganze in umgekehrter Reihenfolge ab. Die Fenster werden geschlossen, die Tische wieder abgewischt, das Licht wird ausgeschaltet und das Tor geschlossen.
    »Da hier nie etwas gestohlen wird, müssten wir vielleicht gar nicht so darauf achten, dass die Türen verschlossen sind«, sagt Oshima.
    »Aber Frau Saeki mag keine Unordnung, und ich auch nicht. Deshalb machen wir alles möglichst korrekt. Es ist unser Haus. Also behandeln wir es mit Achtung, und ich möchte, dass du das auch tust, so gut du kannst.«
    Ich nicke.
    Darauf erklärt er mir die Arbeit am Empfang. Was zu tun ist, wenn man an der Theke sitzt. Wie man den Lesern Auskünfte gibt.
    »Am besten, du schaust eine Weile zu, wie ich es mache, und merkst dir den Ablauf. Es sind keine schwierigen Dinge. Wenn es Probleme gibt, kannst du in den ersten Stock gehen und Saeki-san rufen. Sie regelt es dann für dich.«
    Frau Saeki kommt kurz vor elf. Ich höre es gleich an dem charakteristischen Motorengeräusch ihres Golf. Sie stellt den Wagen auf dem Parkplatz ab, kommt durch den Hintereingang ins Haus und begrüßt Herrn Oshima und mich. »Morgen«, sagt sie. »Guten Morgen«, erwidern Oshima und ich. Mehr an Gespräch findet nicht statt. Frau Saeki trägt ein dunkelblaues Kleid mit kurzen Ärmeln. Eine Baumwolljacke hängt über ihrem Arm und über ihrer Schulter eine Handtasche. Sie trägt kaum Schmuck oder Make-up. Dennoch bin ich von ihrem Äußeren wie geblendet. Da stehe ich neben Oshima, sie sieht mich an und scheint etwas sagen zu wollen, tut es am Ende aber doch nicht, sondern lächelt mir nur kurz zu und steigt dann leise die Treppe in den ersten Stock hinauf.
    »Alles in Ordnung«, sagt Oshima. »Mit dir geht alles klar, kein Problem. Sie macht nur nicht viele Worte.«
    Um elf öffnen Oshima und ich die Bibliothek, aber es kommt nicht gleich jemand. Oshima erklärt mir, wie man im Computer nachschaut. Da viele

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