Kafka am Strand
Versehen etwas Bitteres getrunken. Der Klang des Wortes gefällt ihm nicht.
»Ein absichtliches Versäumnis.«
»Absichtliches Versäumnis«, wiederholt er und denkt kurz über die herbe Formulierung nach.
»Was haben Sie dazu zu sagen?« Die Frau kann ihren aufwallenden Ärger kaum noch unterdrücken.
»Wenn Sie sich umschauen, werden Sie sehen, dass unsere Bibliothek sehr klein ist«, sagt Oshima. »Leider haben wir nicht genug Platz für getrennte Toiletten. Natürlich wäre es besser, wenn wir welche hätten, aber bisher gab es keine Beschwerden seitens der Besucher. Glücklicherweise – oder besser gesagt, unglücklicherweise – wird unsere Bibliothek nicht sehr stark frequentiert. Wenn Sie der Problematik getrennter Toiletten auf den Grund gehen möchten, sollten Sie sich vielleicht an Boeing in Seattle wenden und sich nach den Toiletten in den Jumbo Jets erkundigen? Die Jumbos sind weitaus größer als unsere Bibliothek und weitaus voller, und dennoch gibt es in den Maschinen meines Wissens nur Unisex-Toiletten.«
Die Frau nimmt Oshima streng ins Visier. Als sie die Augen zusammenkneift, treten ihre Wangenknochen stark hervor. Dabei hebt sich ihre Brille ein wenig.
»Wir führen hier keine Untersuchung über Transportmittel durch. Wieso fangen Sie plötzlich von Jumbo Jets an?«
»Jumbo Jets haben gemeinsame Toiletten für Männer und Frauen. Unsere Bibliothek auch. Sind die Probleme, die sich daraus ergeben, nicht prinzipiell die gleichen?«
»Wir untersuchen die Ausstattung einzelner öffentlicher Einrichtungen. Wir sind nicht hergekommen, um über Prinzipien zu sprechen.«
Während der ganzen Zeit liegt ein sanftes Lächeln auf Oshimas Gesicht. »Ach so, ich war fest davon überzeugt, unser Gespräch drehe sich um Prinzipien. «
Die Frau merkt, dass sie aufs Glatteis geraten ist. Sie errötet leicht, was freilich keinesfalls auf Oshimas erotische Anziehungskraft zurückzuführen ist. Sie versucht es mit einer Richtungskorrektur.
»Jedenfalls hat die Problematik der Jumbo Jets nichts mit dieser hier zu tun. Führen Sie keine irrelevanten Beispiele an und schweifen Sie nicht vom Thema ab.«
»Jawohl. Ich werde nicht mehr von Flugzeugen reden«, sagt Oshima. »Sprechen wir nur noch über die Probleme am Boden.«
Sie starrt Oshima an. Nach einer Pause fährt sie fort. »Dann ist da noch etwas. In Ihrer Kartei sind die Autoren nach Männern und Frauen getrennt.«
»Ja, sie wurde von unseren Vorgängern erstellt, die aus irgendeinem Grund Männer und Frauen getrennt verzeichnet haben. Wir beabsichtigen, das irgendwann zu ändern, aber im Augenblick fehlen dazu die Mittel.«
»Darüber beschweren wir uns ja gar nicht«, sagt sie.
Oshima legt leicht den Kopf schräg.
»Allerdings kommen im gesamten Katalog dieser Bibliothek die Autoren stets vor den Autorinnen«, sagt sie. »Das ist unseres Erachtens eine Vorgehensweise, die gegen das Prinzip der Gleichheit von Männern und Frauen verstößt und einen Mangel an Gerechtigkeit darstellt.«
Oshima nimmt die Visitenkarte in die Hand und legt sie, nachdem er sie nochmals gelesen hat, auf die Theke zurück.
»Frau Soga«, sagt er. »Auf der Anwesenheitsliste in der Schule kommt Soga vor Tanaka und hinter Sekine. Haben Sie sich darüber beschwert? Und verlangt, dass auch mal von hinten aufgerufen werden sollte? Sich geärgert, weil G im Alphabet hinter F kommt? Eine Revolution angezettelt, weil in einem Buch Seite 68 nach Seite 67 kam?«
»Das ist etwas völlig anderes«, sagt sie ärgerlich. »Von Anfang an drehen Sie mir absichtlich das Wort im Mund herum.«
Als sie das hört, kommt auch die kleinere Frau, die sich vor einem Regal Notizen gemacht hat, eilig hinzu.
» Ich drehe Ihnen absichtlich das Wort im Mund herum « , wiederholt Oshima, wie um ihre Worte zu unterstreichen.
»Stimmt das etwa nicht?«
»Red herring«, sagt Oshima.
Frau Soga bleibt der Mund offen stehen, und sie bringt keinen Ton heraus.
»Es gibt auf Englisch den Ausdruck ›red herring‹. Hochinteressant – er bedeutet, dass man vom Kern eines Themas auf Nebengleise ausweicht. Roter Hering. Wie diese Redewendung entstanden ist, weiß ich leider nicht.«
»Hering oder Makrele, jedenfalls lenken Sie vom Thema ab.«
»Das war, präzise gesagt, ein Analogieschluss«, sagt Oshima.
»Nach Aristoteles eine der wirksamsten Methoden der Rhetorik. Solche Finessen dienten den Bürgern im alten Athen zur alltäglichen Unterhaltung. Leider galten Frauen nach damaliger Definition
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