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Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Titel: Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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sich verändert habe. Sie wurde wütend … Worte, er suchte Worte, nur die richtigen Worte konnten diese Frau jetzt noch halten, die auf dem Sprung schien, sich zu verabschieden. »Sag ›ja‹«, bat er endlich, »auch wenn Du Dein Gefühl für mich als nicht genügend für eine Ehe ansiehst, meine Liebe zu Dir ist gross genug, um auch das Fehlende zu ersetzen und überhaupt stark genug, um alles auf sich zu nehmen.« »Hör doch auf, zu bitten«, entgegnete sie rau, »immerfort willst du das Unmögliche.« Ja, das Unmögliche … man müsse das Unmögliche wollen, das war von jeher einer der Lieblingssätze seines Freundes Felix, und immer hatte er darüber gelächelt, er, dem schon das Mögliche in unerreichbarer Höhe schien. Doch wenn es wahr wäre? Wenn nur ein Schritt in eine ganz unausdenkbare Richtung hier noch hinausführte? »Ich habe Dich lieb genug«, sagte er, den abgewandten Blick suchend, »um alles abzulegen, was Dich stören könnte. Ich werde ein anderer Mensch werden.«
    Tiefer demütigen kann man sich nicht … hatte Kafka Anfang des Jahres geglaubt, als er, allen inneren Verwerfungen zum Trotz, sie neuerlich um die Ehe bat. Damals verbarg sich in diesem Gefühl noch ein Gran Hoffnung: Nun kann es nur noch besser werden. Doch diese Hoffnung täuschte. Was Demütigung war, erfuhr er erst jetzt. Berlin, Tiergarten: Dies war der absolute Nullpunkt seiner bisherigen, dreißigjährigen Existenz. Es war ohne Würde, was sie beide hier aufführten, ein Zerfleischen ohne Berühren, wie es Strindberg nicht grausamer {455} hätte erfinden können, es war, wie er sich Wochen später erinnerte, eine »Demütigung, wie sie tiefer kein Hund erleidet«. Seine Fragen fielen ins Leere. Erklärungen bekam er nicht, seine Vorhaltungen waren in den Wind gesprochen. Und am Ende verriet er sich, ließ sich – gleichsam in freiem, kopflosem Fall – zu Versprechungen herab, deren Unhaltbarkeit selbst ein Kind hätte einsehen müssen. Menschen kann man nicht ändern, man muss sie nehmen, wie sie sind … nur zwei Monate war es her, dass er so gesprochen hatte. Und nun versprach er, genau besehen, das Eigenste zu töten, sich selbst aus der Welt zu schaffen. Die Abweisung vermochte er zu verzeihen. Dass aber Felice sich auf solche Versprechungen später berief, verzieh er ihr niemals.
    Drei Stunden lang gingen sie spazieren. In einem Café trafen sie ausgerechnet auf Ernst Weiß. Sie ließen sich nieder, Felice machte Konversation, war freundlich, nun auch zu ihrem Begleiter, der sich zwang, über die Schriftstellerei und das Büro zu sprechen. Weiß meinte, für einen Ehemann sei es ratsam, eine sichere Stelle zu haben.
    Dann begleitete Kafka Felice nach Hause. Im Treppenhaus verabschiedeten sie sich. Kafka beugte sich hinab, öffnete eilig ihren Handschuh und presste die Lippen auf ihre Hand. Als er wieder aufsah, blickte er in ein verzerrtes, feindseliges Gesicht.

{456} Kafka und Musil
Weil ich mir dies alles vornehme, bin ich nun neugierig, was ich in Wirklichkeit machen werde …
Robert Musil, Tagebuch, 1910
    Ein schmaler Band war erschienen, verfasst von Siegfried Jacobsohn, dem integren und darum in Theaterkreisen gefürchteten Herausgeber der Schaubühne . Der Titel verblüffend: DER FALL JACOBSOHN. Ein Fall, der schon neun Jahre zurücklag, ein Skandal, der Jacobsohn, damals mit 22 Jahren Feuilletonchef der Berliner Welt am Montag , Stellung und Ansehen gekostet hatte. Man bezichtigte ihn des Plagiats. Freunde wandten sich ab, es erschienen Angriffe mit antisemitischen Untertönen, Jacobsohn geriet in Isolation. Er reiste für einige Monate nach Italien, dann nach Paris. Dort hätte er bleiben können, als Korrespondent, fernab des Tumults. Doch er lehnte ab. Er wusste, was er wollte, er kehrte zurück nach Berlin, gründete mit geliehenem Geld eine eigene Theaterzeitschrift, das Projekt seines Lebens.
    Kafka, kaum zurück von der eigenen Italienfahrt, hatte das Buch begierig und staunend gelesen. »Diese Kraft zu leben, sich zu entscheiden, den Fuss mit Lust auf den richtigen Ort zu setzen. Er sitzt in sich wie ein meisterhafter Ruderer in seinem Boot und in jedem Boot sitzen würde. Ich wollte ihm schreiben.« [431]   Doch das erborgte Hochgefühl verflog, er dachte über den eigenen Fall nach. Jacobsohn war im Triumph zurückgekehrt, er selbst nach Hause förmlich geschlichen. Wie würde wohl sein Rechenschaftsbericht aussehen? DER FALL K. – eine traurige Lektüre.
    Er beriet sich mit Brod, zum

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