Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)
den Betten, Kaffeehauspalmen in den Winkeln, alles dieses fassen sie als Luxus auf.« [464]
Man muss hier genau hinsehen: Kargheit und Schlichtheit sind Elemente von ›Reinheit‹, darum ist für Kafka Überladenheit gleichbedeutend mit ›Schmutz‹. Erst im dritten Satz fällt ihm ein, dass dies für Felice keineswegs selbstverständlich ist und darum einer Erklärung bedarf. Nun aber muss er einräumen – und in dieser Deutlichkeit wohl zum ersten Mal –, dass jene Art von Häuslichkeit, in der Felice Bauer aufgewachsen war und die allein sie für ›gemütlich‹ und zugleich ›repräsentativ‹ hielt, für ihn nichts anderes war als Ramsch und erstickender Schmutz und dass er darum die Nötigung, sich am Bau eines derart fragwürdigen Nests zu beteiligen, als Angriff auf seine ›Person‹ empfinden musste. Und es war sicherlich nicht das geringste Unglück jener fatalen Verlobungsfeierlichkeiten, dass Kafka angesichts des Gegendrucks sämtlicher Mitglieder der eigenen wie fremden Familie nicht sagen konnte, was er denn wirklich wollte.
»Statt dessen giengen wir in Berlin Möbel für die Prager Einrichtung eines Beamten einkaufen. Schwere Möbel, die einmal aufgestellt, kaum mehr wegzubringen schienen. Gerade ihre Solidität schätztest Du am meisten. Die Kredenz bedrückte mir die Brust, ein vollkommenes Grabdenkmal oder ein Denkmal Prager Beamtenlebens. Wenn bei der Besichtigung irgendwo in der Ferne des Möbellagers ein Sterbeglöckchen geläutet hätte, es wäre nicht unpassend gewesen.« [465]
Offenbar gelang es ihm, wenigstens einen Teil der geplanten Einkäufe, die ja auf seine Rechnung gingen, aufzuschieben, wenngleich sich wohl alles schaudernd abwandte von den billigen Rohrsesseln, die er für die besten und bequemsten hielt. Verstanden hat diese neuerliche Renitenz gewiss niemand, und so blieb es bei der wenig verheißungsvollen Erfahrung, dass bei Kafka alles, aber tatsächlich alles zu einem Problem werden konnte.
Wie es in den Wohnungen von Kafkas verheirateten Freunden aussah, wissen wir nicht, doch ist anzunehmen, dass er wenigstens hier mit seiner Aversion gegen die gemütvoll ausgepolsterte bürgerliche Wohnhöhle keineswegs allein stand. Schlichtheit, Betonung der Funktion und eine demonstrative Ehrlichkeit des Materials waren schon seit der Jahrhundertwende kulturkritisch untermauerte Forderungen {491} von Künstlern und Handwerkern. Der Architekt und Designer Adolf Loos, einer der wenigen lebenslangen Freunde von Karl Kraus, verglich in seinem einflussreichen Aufsatz ›Ornament und Verbrechen‹ (1908) die Sucht, alles mit Zierrat zu überdecken, mit den ästhetischen Vorstellungen der Papuas, denen das tätowierte Gesicht besser gefällt als jedes natürliche. Im März 1913 hatte Loos einen Vortrag in Prag gehalten, bei dem schon der Titel verriet, dass es ihm – ganz ähnlich wie Kafka – um einen schlichten, doch einheitlichen, an natürlichen Notwendigkeiten sich orientierenden Wohnstil ging: ›Stehen, gehen, sitzen, liegen, schlafen, essen und trinken‹.
Als gänzlich abwegig galten solche Vorstellungen also nicht mehr, und auch die asketischen Möbel, die Kafka sich wünschte, gab es längst. Er hatte sich, kaum war die Heirat beschlossen, Prospekte von den ›Deutschen Werkstätten‹ schicken lassen, die komplette Einrichtungen in verschiedenen Preislagen anboten. Dekorative Kredenzen und die von Kafka besonders gehassten zentnerschweren Ehebetten wurden dort nicht produziert, stattdessen preiswerte, leicht zerlegbare und transportierbare Funktionsmöbel, die Vorläufer der seriellen Anbaumöbel. Es waren vor allem Familien von Arbeitern und kleinen Angestellten, die diesem Unternehmen zu raschem Wachstum verhalfen: Seit 1913 waren die Deutschen Werkstätten eine Aktiengesellschaft, die mehr als 500 Menschen beschäftigte. Die bürgerliche Kundschaft hingegen rümpfte nach wie vor die Nase über die ›Maschinenmöbel‹, die ihnen keineswegs elegant, sondern armselig erschienen, zwischen denen ihnen unbehaglich war und die sich absolut nicht vertrugen mit Kissen, Decken, Nippes, Vasen, Bildchen, Fächern, Haussegen, Vorlegern, Fellchen, Muschelaufsätzen, Troddeln, Fransen und geblümten Möbelbezügen aus Plüsch. [466]
Nicht zufällig hatten die Deutschen Werkstätten ihren Betrieb in die Gartenstadt Hellerau bei Dresden verlegt, eine Modellsiedlung von knapp 2000 Einwohnern, die mit ihrer Ausrichtung auf natürliches und gesundes, dabei funktionelles
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