Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)
Klage, und mehr denn je. Sie antwortete unwirsch. Die kurze Zeit bis zur Hochzeit werde er sich doch wohl noch zusammennehmen können.
Ein einziger Brief Grete Blochs an Kafka blieb erhalten, ein Entwurf offenbar, doch gerade diese Sätze markieren den Augenblick der Entscheidung, das Ende aller Zweideutigkeiten, das Ende des Spiels.
»Doktor mir versagen fast die Worte. Wenn Sie sich nicht in sich selbst täuschen – kann ich das heute nach all diesen Gegenbeweisen noch hoffen? – steht es schlimm. Ich sehe auf einmal so klar und bin ganz verzweifelt. Daß ich mit Gewalt in einer Verlobung ein Glück für Sie beide sehen wollte und {500} Sie so bestimmt habe, schafft – das ist sicher – eine grenzenlose Verantwortung, der ich mich kaum mehr gewachsen fühle.
Fast möchte ich Sie bitten nicht hierher zu kommen, wenn Sie nicht klar, in sich gefestigt und absolut freudig sein können. F. sprach ich nur flüchtig. Nach all diesen Briefen wage ich ihr kaum in die Augen zu sehen. – Grollen dürfen Sie mir nur, ob meiner lächerlichen unverantwortlichen Weichlichkeit bei der Beantwortung früherer Briefe.« [477]
Kafka reagierte gekränkt, beinahe boshaft: Habe ich Sie endlich doch überzeugt? Grete Bloch aber antwortete nicht mehr. Stattdessen nahm sie einen der letzten Briefe Kafkas zur Hand und ging damit zu ihrer Freundin.
Was Felice und Grete einander schrieben, blieb Franz verborgen. Was Franz und Grete einander schrieben, blieb Felice verborgen. Was Franz und Felice einander schrieben, blieb Grete verborgen. – Franz teilte darum Grete mit, und Grete teilte wiederum Franz mit, was Felice geschrieben hatte. – Nun fehlte nur noch eine Seite, um die geometrische Figur zu schließen. Anfang Juli 1914 wurde sie geschlossen: Grete Bloch teilte Felice Bauer mit, was Franz Kafka geschrieben hatte.
Betrachtet man diesen ebenso komischen wie qualvollen Reigen aus der Entfernung – und das heißt: mit dem Wissen um sein Ende –, so ist nur schwer vorstellbar, dass Kafka es nicht kommen sah. Er selbst hatte ja Indiskretionen nicht nur begangen, er hatte an mündlichen und schriftlichen Eigenmächtigkeiten auch reichlich partizipiert, ja, er selbst hatte Grete Bloch dazu ermuntert, ihm Briefe Felices ›auszuleihen‹. Lügen sollte sie um seinetwillen nicht, das nicht, aber mitlesen wollte er, wenn schon Felice selbst die Antwort verweigerte. Gewiss, es war eine Zeit der Krise gewesen, eine jener entsetzlichen Schweigepausen, und anders hatte er sich eben nicht zu helfen gewusst. In einer Krise war nun aber auch die ›Botin‹, die alles andere als zögerliche Grete Bloch, die sich von Kafka überfordert fühlte und die in Berlin – nahe den Eltern, dem Bruder, den Freunden – plötzlich frische Kräfte fühlte, um unverantwortliche Träume abzubrechen und für Klarheit zu sorgen. Sie hatte erfolgreich vermittelt, Kafka aber wollte nicht wirklich heiraten. Und davon musste Felice erfahren, rechtzeitig.
Welcher von Kafkas zweiflerischen Briefen Felice zunächst vor Augen {501} kam, wissen wir nicht, ja, es lässt sich nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob es einer jener Briefe war, die wir kennen, und ob Kafka hier tatsächlich, wie er später bekannte, die Braut »fast entwürdigt« hatte. [478] Was sie zu sehen bekam, war jedenfalls schlimm genug. Felice war außer sich vor Zorn, und zum ersten Mal empfand sie etwas wie Hass gegen Kafka, Hass angesichts all der Schwierigkeiten, die sich immer wieder auftürmten und die sie allein seinem schwankenden Wesen zurechnete. Sie fand, das Maß war voll. Jetzt wollte sie eine Erklärung.
Auch zwischen den beiden Frauen kann es nicht ohne Spannungen abgegangen sein. Wieder war Grete Bloch die Botin, aber diesmal überbrachte sie Nachrichten, die unvermeidlich die Frage aufwarfen, welchen Anteil sie selbst daran hatte. Ohne Felices Wissen hatte sie mit Kafka eine intensive, parallele Korrespondenz geführt, die so offenherzig war, dass sie ihn zu Indiskretionen ermutigte. Das war, um es vorsichtig auszudrücken, nicht loyal, und mit ein wenig bösem Willen konnte man die späte Warnung auch als spätes Geständnis deuten. Doch Grete Bloch war nicht weniger ›tüchtig‹ als Felice, und wie allen Tüchtigen widerstrebte es ihr, in die Defensive zu geraten. So kam es, dass sie sehr bald schon – vielleicht im Juli, vielleicht erst im August 1914 – zur einzig ihr verbliebenen, allerdings durchschlagenden Waffe griff: Sie bot Felice kurzerhand an, ihr den
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