Kafka: Die Jahre der Erkenntnis (German Edition)
zwischen Kafka und Felice Bauer habe eingreifen müssen. Ihre Intervention hatte zum Eklat geführt und zu einer vorläufigen Trennung, die allmählich, da seit Monaten keine Seite sich rührte, definitiv zu werden drohte. Felice war unglücklich darüber, aber zu gekränkt in ihrem Stolz, um ein Zeichen der Versöhnung zu geben. Dass auch Kafka unglücklich war, ließ sich leicht erraten und auf Umwegen – vor allem über den redseligen Max Brod und dessen Frau Elsa – ebenso leicht bestätigen. Dieses doppelte Unglück aber war mehr, als Grete Bloch auf ihr moralisches Konto zu nehmen vermochte, und so verfiel sie auf den Gedanken, durch eine zweite Intervention die erste abzuschwächen. ›Sie müssen mich jetzt hassen‹, schrieb sie sinngemäß an Kafka – ein Wink, ein Hinstrecken des kleinen Fingers, auf das er irgendwie reagieren würde. Ja, ein wenig kannte sie ihn schon. Doch nicht gut genug, um die Abfuhr zu erahnen, die sie wenige Tage später ereilte.
»Es ist ein sonderbares Zusammentreffen Fräulein Grete, dass ich gerade heute Ihren Brief bekam. Das, womit er zusammengetroffen ist, will ich nicht nennen, es betrifft nur mich und die Gedanken, die ich mir heute nacht machte, als ich mich etwa um 3 Uhr ins Bett legte.
Ihr Brief überrascht mich sehr. Es überrascht mich nicht, dass Sie mir schreiben. Warum sollten Sie mir nicht schreiben? Sie sagen zwar, dass ich Sie hasse, es ist aber nicht wahr. Wenn Sie alle hassen sollten, ich hasse Sie nicht und nicht nur deshalb, weil ich kein Recht dazu habe. Sie sassen zwar im Askanischen Hof als Richterin über mir – es war abscheulich für Sie, für {34} mich, für alle – aber es sah nur so aus, in Wirklichkeit sass ich auf Ihrem Platz und habe ihn bis heute nicht verlassen.
In F. täuschen Sie sich vollständig. Ich sage das nicht, um Einzelheiten herauszulocken. Ich kann mir keine Einzelheit denken – meine Einbildungskraft hat sich in diesen Kreisen so viel herumgejagt, dass ich ihr vertrauen kann – ich sage, ich kann mir keine Einzelheit denken, die mich davon überzeugen könnte, dass Sie sich nicht täuschen. Das was Sie andeuten ist vollständig unmöglich, es macht mich unglücklich zu denken, dass etwa F. aus irgendeinem unerfindlichen Grunde sich selbst täuschen sollte. Aber auch das ist unmöglich.
Ihre Anteilnahme habe ich immer für wahr und gegen sich selbst rücksichtslos gehalten. Auch den letzten Brief zu schreiben ist Ihnen nicht leicht geworden.
Ich danke Ihnen dafür herzlich.
Franz K« [16]
Ein Brief, der beinahe ausschließlich aus Gesten der Abwehr besteht: Meine Gedanken, mit denen Ihr Brief zusammengetroffen ist, gehen Sie nichts an. Schreiben Sie mir nur, es kann Sie ja niemand daran hindern. Die Details aus dem Leben Felices, mit denen Sie locken, interessieren mich nicht. In meinem Hass täuschen Sie sich, vielleicht hasst man Sie aber in Berlin? In Felice täuschen Sie sich ebenfalls. Und Sie überschätzen Ihre Kompetenz, wenn Sie sich einbilden, über mich ein Urteil sprechen zu können. Dass Sie sich überwinden mussten, mir zu schreiben, weiß ich, aber das hilft Ihnen nichts. – Allenfalls das Zugeständnis ›wahrer Anteilnahme‹ war geeignet, der Empfängerin zu schmeicheln; prompt markierte Grete Bloch diesen Satz mit Rotstift, und nur ihn.
Die mittels konventioneller Höflichkeit kaum entschärfte Aggressivität ist erstaunlich, ein Novum, das in Kafkas gesamter Korrespondenz nicht seinesgleichen hat. Dabei kann man noch nicht einmal von ›mühsam beherrschter‹ Aggression sprechen: Der Impuls liegt offen zutage und wird durch einen Unterton der Herablassung, ja der Arroganz noch absichtsvoll zugespitzt. Kafka spielt hier seine Überlegenheit aus, und er weiß es, es ist die moralische Überlegenheit dessen, der keines fremden Urteils mehr bedarf, weil er sich selbst zum unerbittlichsten Richter geworden ist. [17] Die zentrale Botschaft aber lautet: Bleiben Sie mir vom Leib.
Kafka hatte Gründe, derartige Störungen gerade jetzt sich zu verbitten. Seit zwei Monaten erlebte er ein allnächtlich wie im Traum dahineilendes, exzessives, dabei überaus kontrolliertes Schreiben. Selbst {35} die kostbaren Urlaubstage, die ihm für 1914 noch zustanden, verbrachte er am Schreibtisch, und wenn auch keine Hoffnung mehr war, dass der gespenstische Ausnahmezustand, in dem Prag, Österreich, der ganze Planet sich jetzt befand, in absehbarer Zeit beendet würde, so wollte er doch bereit sein, mit einem großen
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