Kafka: Die Jahre der Erkenntnis (German Edition)
mehr als fraglich. Aber eben: ein Halt, ein Anker – mehr konnte auch dieser vertrauteste Mensch nicht bieten, und die verhängnisvolle psychische Dynamik, die Kafka jetzt in Gang setzte, um sich weitere Wunden zu ersparen, hätte sie weder antizipieren noch rechtzeitig verstehen, noch verhindern können. Niemand konnte das.
»Ich suche mir ein gutes Versteck und belauere den Eingang meines Hauses – diesmal von aussen – tage- und nächtelang. Mag man es töricht nennen, es macht mir aber eine unsagbare Freude, mehr noch, es beruhigt mich. Mir ist dann, als stehe ich nicht vor meinem Haus, sondern vor mir selbst, während ich schlafe, und hätte das Glück gleichzeitig tief zu schlafen und dabei mich scharf bewachen zu können. Ich bin gewissermassen ausgezeichnet, die Gespenster der Nacht nicht nur in der Hilflosigkeit und Vertrauensseligkeit des Schlafes zu sehn, sondern ihnen gleichzeitig in Wirklichkeit bei voller Kraft des Wachseins in ruhiger Urteilsfähigkeit zu begegnen. Und ich finde dass es merkwürdiger Weise nicht so schlimm mit mir steht, wie ich oft glaubte und wie ich wahrscheinlich wieder glauben werde, wenn ich in mein Haus hinabsteige.«
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Eine jener sprachlich unaufwendigen, doch still abgründigen, in ihrer beispiellosen Verdichtung von Bild und Logik bezwingenden Passagen aus Kafkas Erzählung DER BAU. Wohl kaum ein aufmerksamer Leser, der sich nicht genötigt fühlte, die paradoxen Implikationen dieses Szenarios auf eigene Rechnung weiterzuspinnen: Ein dachsartiges Tier baut sich unter immensen Anstrengungen eine unterirdische labyrinthische Festung, doch anstatt dort still zu verharren und die schwer erkämpfte Sicherheit zu genießen, begibt sich dieses unselige Wesen ins Freie, um den Eingang von außen zu bewachen. Man spürt den Anhauch des Wahnsinns. Es ist, als würde jemand eine Prachtvilla errichten, um dann daneben zu kampieren .
Und doch: Ist hier nicht ein Gedanke zur Konsequenz gebracht, der durchaus einleuchtet, ja, der sogar sympathisch zu berühren vermag? Die Funktionalität einer Villa ist erfahrbar nur von innen, doch die materielle Einheit von Form und Funktion – mit anderen Worten: ihre Schönheit – bleibt dem vorbehalten, der sie von außen betrachtet. Das Tier, das in seiner Höhle verharrt, erlebt ›Sicherheit‹. Die Lust an der eigenen Leistung aber, dem Leben ein Maximum an Sicherheit abgetrotzt zu haben, jene »unsagbare Freude« bedarf des Überblicks, der Distanz. Es ist dies die Lust an der Reflexion, an der Bestandsaufnahme, am Nachvollzug des Erreichten, eine Lust, die menschlich ist insofern, als die unmittelbare Befriedigung, ja selbst die Verwirklichung der ausschweifendsten Träume ihr stets ›zu wenig‹ ist.
»Es ging so weit dass ich manchmal den kindischen Wunsch bekam überhaupt nicht mehr in den Bau zurückzukehren sondern hier in der Nähe des Eingangs mich einzurichten, mein Leben in der Beobachtung des Eingangs zu verbringen und immerfort mir vor Augen zu halten und darin mein Glück zu finden, wie fest mich der Bau, wäre ich darin, zu sichern imstande wäre.« [15]
Dieses zweifache wäre bringt nun aber den Erzähler und mit ihm den Leser zur Besinnung: Der Preis ist denn doch zu hoch, und buchstäblicher Wahnsinn wäre es, das eigene Überleben aufs Spiel zu setzen für nichts als den Luxus, ebendieses Überleben auch noch als Schauspiel beobachten zu können. Und so kehrt das Tier schließlich zurück in den Bau, um dessen funktionelle Schönheit künftig imaginativ zu genießen – etwa, indem es sich selbst davon erzählt.
Kafka hat diesen Text Ende 1923 verfasst, zu einem Zeitpunkt, da {33} er bereits auf ein knappes Jahrzehnt eigener, angestrengter Bau -Tätigkeit zurückblicken konnte. Es ist die emsige und niemals vollendbare Arbeit am eigenen Selbst, die jeder zu leisten hat, der sein Leben unter den Primat der Sicherheit stellt; es ist, mit anderen Worten, das Glück und das Elend der Defensive, die Kafka schildert, mit einer Hellsichtigkeit und bildhaften Präzision, die ebenso bezwingend wäre, wüssten wir nichts über den autobiographischen Kern der Geschichte. Dieser Kern aber ist genau zu verorten.
Die Fundamente waren gelegt, seit unvordenklichen Zeiten. Mit dem Hochziehen der Mauern aber begann Kafka am 15.Oktober 1914. An diesem Tag erhielt er einen Brief von Grete Bloch, die sich offenbar gedrängt fühlte, noch einmal zu erklären, warum sie in das gleichzeitig leer- und heißlaufende Beziehungsgetriebe
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