Kahlschlag (German Edition)
verfärbt und brauchten dringend Wasser. Sunset nahm sich vor, sie zu gießen und die getrocknete Erde zu ihren Füßen wegzufegen, vermutlich die Überreste einer Topfpflanze, die verkümmert und weggeworfen worden war.
»Ich kann es nicht fassen«, sagte Karen. »Erst Daddy und jetzt Opa. Er konnte ohne sie nicht leben. Sie hätte ihn nicht rauswerfen sollen.«
»Vielleicht konnte er nicht mit sich selbst leben«, entgegnete Sunset.
»Ich glaube, er hat sie geliebt. Ich glaube, sie hat ihm gefehlt.«
»Vielleicht hat ihm nur jemand gefehlt, den er verprügeln konnte.«
Ein paar Tage nach der Beerdigung fand die Dorfversammlung statt. Sie wurde wie üblich im Haus der Jones abgehalten, obwohl man kurzzeitig die Kirche in Betracht gezogen hatte. Aber Willie Fixx, Priester, Tierarzt und Teilzeitdoktor, hatte ganz richtig gesagt: »Da drin ist es heiß.«
Henry Shelby berief die Versammlung ein, und nach einem verkürzten Arbeitstag in der Mühle setzte man sich um sechs Uhr zusammen. Die Männer kamen direkt von der Arbeit und stanken wie Hunde, die sich in Scheiße gewälzt hatten.
Sunset und Karen rissen im ganzen Haus die Fenster auf, was allerdings nicht viel brachte, da die Luft draußen verdammt feucht war und stillzustehen schien. Es war, als würde sie mit ihrem Gewicht die Fenster blockieren und den Gestank im Zimmer einsperren.
Die Männer waren ausnahmslos Weiße. Farbige waren bei den Versammlungen nicht zugelassen und hatten auch kein Mitspracherecht. Vielen der Männer fehlten ein oder zwei Finger, manchen auch der Daumen. Kleine Opfer für den Gott der Sägen.
Sunset stand mit Karen hinten im Zimmer. Sie trug eins der ärmellosen Sommerkleider ihrer Schwiegermutter und einen breiten schwarzen Gürtel, aus dem unübersehbar der Revolver herauslugte. Sie wusste, es war blödsinnig, aber sie behielt die Waffe immer in Griffweite.
Sunset wandte den Kopf, als Hillbilly hereinkam. Also war er eingestellt worden, entweder noch von ihrem Schwiegervater oder von Henry. Er rauschte in das Zimmer wie ein König. Man erwartete fast, dass jemand einen roten Teppich für ihn ausrollte. Er ging auf die andere Seite des Zimmers und lehnte sich gegen die Wand, die hinterher einen Schweißfleck hatte. Sogar dreckig und verschwitzt, Sägemehl in den Haaren und die Mütze in der Hand fand Sunset ihn immer noch recht gutaussehend. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob er eher fünfundzwanzig oder gut erhaltene fünfunddreißig war.
Sunset beobachtete, wie die Männer eine Zeit lang umhergingen, Hände schüttelten und peinlich darauf bedacht waren, Marilyn ihr Beileid wegen Mr. Jones auszusprechen.
Henry Shelby trat vor die versammelten Männer. Er hatte einen Gang, als würde er mit dem Hintern etwas Lebendes zerquetschen, und trug einen schwarzen Anzug, der nach Kerosin roch. Alle seine Anzüge rochen so. Im Licht der Deckenlampe hatte sein Hemd einen gelblichen Schimmer. Seine schwarze Krawatte hing so schlaff auf seiner Brust wie die Zunge eines Erhängten.
»Eröffnen wir also die Versammlung«, sagte er, und die Männer setzten sich. Henrys Augen suchten die Dorfältesten. »Wir wollen keine Zeit mir irgendwelchem Firlefanz vergeuden, sondern gleich zur Sache kommen«, fuhr er fort. »Wir wissen alle, warum wir hier sind. Da Pete tot ist, müssen wir einen neuen Constable wählen. In der Gemeinde sind in den letzten Wochen einige unschöne Dinge passiert. Zum Beispiel sind Hühner gestohlen worden. Und zwar mir. Ich will, dass das Schwein, das das getan hat, verhaftet wird.«
Ein paar Männer lachten.
Henry grinste. Er fand, er hatte einen richtig guten Witz gemacht. »Tatsache ist«, nahm er den Faden wieder auf, »dass die Gemeinde wächst. Ich schätze, in einem Jahr, vielleicht sogar weniger, werden wir uns mit Holiday zusammenschließen und eine richtige Stadt werden. Holiday will sich vergrößern, außerdem haben sie dort Öl gefunden. Öl bringt Geld, genau wie die Mühle. Und es bringt jede Menge Pack mit sich, Spieler, Huren, ...«
Einige Männer johlten.
»Sehr witzig«, sagte Henry, dem auf einmal bewusst wurde, dass einige wussten, wie gut er sich mit Huren auskannte. »Außerdem Gauner, Schläger und so weiter. Die Dinge werden immer mehr außer Kontrolle geraten, und über kurz oder lang werden wir hier nicht nur einen Constable, sondern auch einen Sheriff brauchen, und falls Rapture und Holiday sich zusammenschließen, werden sie eine gemeinsame Polizei haben. Vielleicht einen
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