Kahlschlag (German Edition)
wegen irgendwelcher Frauen, hinter denen er angeblich her war, oder wegen seiner Trinkerei – die nichts war im Vergleich zu ihrer – oder wegen seiner Kleidung oder seiner grauen Haare – als ob er für die etwas konnte –, und musste er unbedingt mit dem Taschenmesser in seiner Fußballenentzündung herumstochern?
All das hatte der Alkohol aus ihr herausgebrannt. Sie hatte aufgehört zu jammern. Nicht einmal die Nachricht, dass Pete, ein Verwandter, von seiner Frau erschossen worden war, hatte sie interessiert. Sie war schon so weit hinüber, dass sie nur fragte: »Wer?« Sie ging auch nicht zur Beerdigung. Sie blieb zu Hause, nackt bis auf den einen Schuh, betrank sich und kratzte sich mit einem auseinandergebogenen Kleiderbügel am Rücken und wer weiß wo sonst noch.
Henry hoffte, dass seine Frau nicht mehr lange unter den Lebenden weilen und dass sie diese restliche Zeit im betrunkenen Zustand hinter sich bringen würde. Er vermutete, dass sie ihrer Leber mit ihrem Alkoholkonsum nichts Gutes tat. Und mit einer kaputten Leber lebte man nicht lange. Jedenfalls hatte er das oft gehört, und darauf ruhte nun seine ganze Hoffnung. In letzter Zeit hatte seine Frau eine leicht gelbliche Hautfarbe, und er dachte sich, vielleicht ist das eine Gelbsucht, wie man sie vom Trinken bekommt. Genauso gut konnte die Farbe natürlich vom unregelmäßigen Baden kommen. Die Fettpolster speicherten jedenfalls ihren Geruch, und manchmal, wenn sie sich bewegte, stank es, als würde man einen großen, lange zusammengerollten Teppich ausschütteln, der inzwischen verschimmelt war.
Aber jetzt war Henry in Gedanken mit der Versammlung beschäftigt. Keine angenehme Angelegenheit, aber immer noch angenehmer, als über seine Frau nachzudenken. Jones zuliebe hatte er die Sache mit der Versammlung erst mal nicht weiter verfolgt. Er hatte Pete nicht zu schnell ersetzen wollen, so, als wäre er schon vergessen. Schließlich war Jones in der Sägemühle ein wichtiger Mann, und seiner Frau gehörte ein großer Teil der Mühle. Von daher wäre das nicht sehr klug gewesen.
Aber jetzt war es an der Zeit, und Henry und die Dorfältesten beschlossen, die Angelegenheit nicht länger hinauszuzögern.
Jones saß an seinem Schreibtisch in der Haupthalle. Der Schreibtisch stand nicht weit von der Säge entfernt, und Jones hatte sich Baumwolle ins linke Ohr gesteckt, das der Säge zugewandt war. Wenn die Säge am Abend abgeschaltet wurde, dauerte es noch stundenlang, bis man ihr Kreischen aus dem Ohr bekam.
Als die Ältesten hereinkamen, wandte Jones ihnen sein rechtes Ohr zu, lauschte konzentriert, nickte und wandte sich dann wieder seiner Schreibarbeit zu. Die Ältesten standen eine Zeit lang da und warteten auf seine Antwort, bis ihnen klar wurde, dass er sie gar nicht mehr beachtete und ihre Anwesenheit völlig vergessen hatte.
Kopfschüttelnd gingen Henry und die anderen leise nach draußen. Sobald sie außer Hörweite waren, sagte Henry: »Er hat den Verstand verloren.«
Eine Viertelstunde später beendete Jones seine letzte Arbeit, den Auftrag einer Stadt in Oklahoma für eine Holzlieferung. Er stand auf und ging zu der großen Kreissäge, die laut brummend in einem Sprühnebel aus Sägemehl und Holzsplittern Kiefern zerschnitt. Jones stand lange da und sah zu, wie die Maschine sich drehte und sägte. Sah zu, wie die Männer Holzstämme auf das Förderband wuchteten und die Stämme von der Säge zerteilt wurden, auf beiden Seiten hinunterfielen und weitertransportiert wurden, um geglättet und als Schnittholz gelagert zu werden. Er dachte über Sunset nach, über Marilyn und Karen, am meisten aber über Pete. An Tagen wie diesem, wenn es heiß war und alles, sogar der Blutkreislauf, sich verlangsamte, war er gern mit Pete zum Fischen gegangen. Er wünschte sich, Pete wäre noch am Leben, und sie könnten jetzt gemeinsam zum Fluss hinuntergehen. Er würde alles dafür geben, wenn er ein letztes Mal mit seinem Sohn Fischen gehen könnte.
Inzwischen war Jones froh, dass Sunset nie Interesse an ihm gezeigt hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er gehofft, sie würde ihn auch mal ranlassen. In seinen Augen hatte sein Sohn einen Fehler gemacht, als er Sunset geheiratet hatte, zumal bei ihrem familiären Hintergrund. Verstehen konnte er ihn allerdings schon, so wie sie aussah mit ihren langen, anmutigen Beinen, dem feuerroten Haar und diesen hübschen, straffen Brüsten. Er hatte gedacht, sie würde sich ihm genauso hingeben wie Pete,
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