Kahlschlag (German Edition)
Dann ließ sie sich mit Pete ein, der groß und schlank war und dessen Muskelstränge sich deutlich unter der gebräunten Haut abzeichneten. Er hatte glänzende schwarze Haare und ein Lächeln, das ihr Herz wie Kerzenwachs schmelzen ließ. Eines Tages schwängerte er sie, und daraus war Karen entstanden.
Pete und sie heirateten auf der Stelle. Er war zwanzig und arbeitete zu dem Zeitpunkt ebenfalls in der Baumwollspinnerei. Er fing erst an, sie zu schlagen, nachdem sie geheiratet hatten. Musste wohl eine Jones’sche Tradition sein: die Frau wird nicht geschlagen, bevor das Ehegelübde abgelegt ist.
All das ging ihr durch den Kopf, während sie so dalag, bis sie sich schließlich so einsam fühlte wie das erste Schamhaar eines Heranwachsenden. Sie seufzte, stand auf, ging barfuß und im Nachthemd nach draußen und schnallte sich das Holster um.
Es war noch nicht Vollmond, aber es war ziemlich hell, und die Luft war klar und ein wenig kühl. Überall schwirrten Glühwürmchen umher. Es sah aus, als wären die Sterne vom Himmel gefallen und würden nun auf der Erde umherhüpfen. Während sie so dastand und zusah, wie die Glühwürmchen ihr um den Kopf flogen, hörte sie plötzlich ein Knurren. Sie zog den Revolver. Dann entdeckte sie auf der Straße einen großen schwarzweißen Hund mit einem hochgestellten und einem herunterhängenden Ohr, der gerade einen großen Haufen machte.
»Ganz ruhig, Junge«, sagte sie. »Ich werde dich schon nicht erschießen.«
Aber der Hund knurrte und rannte davon. Der Geruch von frischer Hundescheiße drang ihr schwach in die Nase.
»Mein Ruf spricht sich rum«, dachte Sunset laut. Sie beschloss, sich sobald wie möglich eine Schachtel Munition zu besorgen. Mit dem Revolver fühlte sie sich sicherer als ohne. Sie wollte genügend Kugeln haben, um notfalls die ganze Welt zu durchlöchern. Sie blieb noch eine Zeit lang draußen stehen, doch die Moskitos begannen allmählich, in Scharen über sie herzufallen. Sie erschlug ein paar von ihnen, ging nach drinnen, ließ die Vorderklappe des Zelts herab und legte sich hin.
Aber sie konnte nicht schlafen. Ihr ging nicht aus dem Kopf, dass Karen und sie nur wenige Zentimeter von der Stelle entfernt lagen, an der sie Pete die Waffe gegen die Stirn gedrückt hatte.
Mann, da hatte er nicht mit gerechnet.
Dieser Dreckskerl.
Vielleicht war es keine so gute Idee, dass Karen hier wohnte, so nah an der Stelle, wo ihr Vater erschossen worden war. Das war nicht sehr fürsorglich. Vielleicht war es besser, sie woanders unterzubringen. Aber wo? Bei ihrer Schwiegermutter konnte sie nicht bleiben. Auch wenn Marilyn ihr vergeben hatte – es fühlte sich einfach nicht richtig an.
Sunset stand auf, ging in die Büroseite des Zelts hinüber, setzte sich an den Tisch und schob einen Bleistift und ein leeres Notizbuch darauf herum. Als ihr das zu langweilig wurde, zündete sie eine der Lampen an, trug sie zum Aktenschrank und zog sich jeweils einen Stuhl für die Lampe und für sich heran.
Oben auf dem Schrank lag ein Stapel loser Akten. Sie nahm sich die oberste Mappe, um einen Aktenordner anzulegen. Vorne auf der Mappe stand: MORDE. Sunset drehte die Flamme ein wenig höher und öffnete die Mappe. Sie stieß auf eine Liste von Mordfällen, die im Lauf der Jahre geschehen waren, in denen Pete Constable gewesen war. Sie nahm an, dass es ganz sinnvoll sei, sich mit den alten Geschichten vertraut zu machen. Wenn sie schon Constable spielte, konnte sie auch in Erfahrung bringen, wie das Spiel lief.
Auf einer Akte stand: MORDE UNTER FARBIGEN. Sie öffnete sie und las ein bisschen darin herum. Meistens fand sie dort nur: Sowieso erschoss Sowieso, was soll’s. Mit den Farbigen gab man sich nicht sonderlich viel Mühe. Keine genaueren Nachforschungen um herauszufinden, wer wem was angetan hatte.
Aber es gab auch einen interessanten Fall, den Pete festgehalten hatte: Ein Farbiger namens Zendo war beim Pflügen seines Felds auf ein Tongefäß gestoßen, in dem ein Säugling begraben lag. Aus Angst, man würde ihn für den Tod des Säuglings verantwortlich machen, hatte er das Gefäß mitsamt Inhalt in den Wald getragen und dort stehen lassen.
Da Zendo immer kräftig Tierdung und Blätter auf sein Land aufgebracht hatte, war sein Boden inzwischen der fruchtbarste weit und breit, schwarz wie ein Rabe in einer Kohlemine. Die Erde, die noch am und im Gefäß hing, führte Pete zu Zendo. Pete wusste, wo das Tongefäß begraben gewesen war, unabhängig davon, wo
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