Kahlschlag (German Edition)
machst du, wenn Clyde aufhört?«
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Sag einfach Danke.«
»Danke, Marilyn.«
»Ich will nicht, dass sie’s kriegt«, protestierte Bill.
»Wieso das?«, fragte Marilyn.
»Na ja, ich weiß, sie ist Constable, aber eigentlich ist sie’s ja gar nicht.«
»Bin ich wohl«, entgegnete Sunset. »Wirklich und wahrhaftig. Und wenn du deine Schulden nicht zurückgezahlt hättest, hätte ich dich verhaftet.«
Bill zog eine Grimasse, als hätte er auf Glas gebissen.
»Dir geht es gewaltig gegen den Strich, dass eine Frau diese Arbeit macht, nicht wahr?«, sagte Sunset.
Bill humpelte zurück auf seine Veranda und zu seinem Schaukelstuhl. Sobald er saß, fing er an, heftig vor- und zurückzuschaukeln, als wolle er sich von der Veranda und aus Osttexas hinwegschaukeln, wo Frauen Gesetzeshüter werden und ihn wegen Schulden um sein Auto betrügen konnten.
»Auch gut«, sagte Marilyn. »Fahr damit nach Hause, Sunset. Sag Karen, ich hole sie demnächst mal ab und fahre mit ihr ins Lichtspielhaus drüben in Holiday.«
»Sunset war schon da«, mischte sich Bill von der Veranda aus ein. »Sie hat da diesen Nigger gerettet.«
»Es freut dich sicher zu hören, dass man ihn gelyncht hat«, gab Sunset zurück.
»Ist mir schon zu Ohren gekommen. Sie hätten allen eine Menge Ärger erspart, wenn Sie sie das gleich in Holiday hätten erledigen lassen. In Tyler hat er vermutlich noch ein paarmal was zu essen gekriegt. War er nicht wert, nicht mal, wenn’s nur Brot und Wasser war.«
»Wenn ich du wäre, würde ich lieber den Mund halten«, entgegnete Sunset. »Vergiss nicht, dass du mit einer Vertreterin des Gesetzes redest.«
»Ich red ja nicht von Gesetzen. Ich mein ja nur. Verschwindet jetzt. Ihr habt, was ihr wolltet.« Bill stand auf, stützte sich auf seine Krücken, bewegte sich mühsam ins Haus und ließ die Tür hinter sich zuknallen.
Sunset hatte schon als Jugendliche fahren gelernt, damals, als sie auf der Farm gearbeitet hatte, bevor ihr dämmerte, welche Fantasien sie in ihrem Stiefvater auslöste. Nachdem sie weggelaufen war, war sie nur noch selten am Steuer gesessen. Manchmal war sie für Pete irgendwohin gefahren, aber nicht oft, nur wenn er etwas unbedingt erledigt haben wollte. Er mochte es nicht, wenn Frauen fuhren, schon gar nicht seine eigene, und die Vorstellung, dass sie einen Wagen lenken und vielleicht sogar damit abhauen könnte, trug nicht gerade zu seiner Beruhigung bei. Er hatte sie gern in Griffweite, wie er zu sagen pflegte, und das bedeutete unter seinem Dach und unter seiner Kontrolle, gefangen wie eine Ratte in einer Schuhschachtel. Ohne Luftlöcher.
Während sie jetzt mit offenem Fenster dahinfuhr und der Wind ihr rotes Haar durcheinanderwirbelte, als würde er einen Brand entfachen, stieg ein Gefühl von Triumph in ihr auf. Ihr Nacken und ihre Wangen glühten, als hätte sie Blasebälge unter der Haut, die Hitze heraufpumpten von einer Glut, die sie längst erloschen geglaubt hatte. Es war, als würde ihre Haut an der Luft lecken, und der Geschmack der Luft war süß.
Sie fühlte sich stark, als hätte sie plötzlich Knochen aus Eisen. Der Staub, den die Räder aufwirbelten, drang durchs Fenster, brachte sie zum Husten und blieb an dem Schweiß auf ihrem Gesicht kleben, aber es machte ihr nichts aus. Überhaupt nichts machte es ihr aus, denn in ihr brannte ein wunderbares Feuer, das ihr selbst in der schwer erträglichen Hitze von Osttexas ein angenehm warmes Gefühl gab. Die Welt erschien ihr nicht mehr in dem eintönigen Weiß und Grau der Straße, sondern in dem hellen Grün der Pinien und Zedern des Waldes, dem Blau des Himmels, dem Strauß aus Castilleja, Kornblumen, Butterblumen, Sonnenblumen und allen möglichen anderen wildwachsenden Blumen, die aus dem Wald geflohen waren und am Rand der Straße haltgemacht hatten, als würden sie ein Spalier bilden. Wenn sie zu schnell um die Kurven fuhr, ließ das Kreischen der Räder bunte Vogelscharen auffliegen, und in diesen herrlichen Momenten fühlte sie sich wie eine Königin, der alles, was in ihr Blickfeld geriet, zu Füßen lag.
Sunset fuhr den schwarzen Ford zu ihrem Zelt, und als Clyde, der immer noch draußen auf einem Stuhl saß, sie kommen sah, stand er auf und ging auf das Auto zu, um sie zu begrüßen. »Haben Sie das gestohlen?«, fragte er durch das offene Fenster.
»Nein. Ich habe es bei einem Betrunkenen gegen einmal Tittengrabschen eingetauscht.«
Clyde sah sie schockiert
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