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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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Ortsversammlung brauchen.«
    »Und wenn ich nicht herausfinde, wer es getan hat? Wenn es nicht Pete war?«
    »Dann können wir die Schuld genauso gut auf ihn abwälzen wie auf irgendjemand anderen.«
    Sunset sah, dass Marilyn blinzelte, und dann lief ihr eine Träne die Wange hinunter. Sie hatte ein sehr fein geschnittenes Gesicht, aber im hellen Sonnenlicht fielen die Falten stärker auf, wie schmale gepflügte Linien. Ihr Haar hatte sich an einigen Stellen gelöst und hing ihr in die Stirn und ins Gesicht. Sunset fand, dass sie aussah wie einige dieser griechischen Statuen, die sie in Büchern gesehen hatte, und sie dachte an die Geschichte von Helena von Troja, und dass Marilyn vielleicht so aussah, wie Helena mit sechzig ausgesehen hätte. Immer noch schön. Ein Gesicht, wie es ein Künstler gern in Granit gemeißelt hätte.
    Als Marilyn mit dem Handrücken die Träne wegwischte, sagte Sunset: »Wir müssen da nicht mehr drüber reden.«
    Marilyn nickte. »Lass uns ein bisschen rumfahren. Ich will dir was zeigen.«
     
    Sie wirbelten eine Menge Staub auf sandigen Nebenstraßen auf und kamen schließlich zu einem kleinen Haus mit einer großen Veranda. In einem Schaukelstuhl auf der Veranda saß Bill Martin. Neben ihm lag ein Paar Krücken. In der Nähe des Hauses standen ein blauer, alter, rostzerfressener Pick-up und ein schwarzer Ford, der noch nicht allzu alt war und in ziemlich guten Zustand zu sein schien.
    »Was ist mit ihm passiert?«, fragte Sunset, als sie auf den Hof fuhren.
    »Er ist von einem Baum getroffen worden. Konnte noch zur Seite springen, hat aber trotzdem was abbekommen. Er hat ein paar Verstauchungen. Ich habe es von Don Walker erfahren. Passiert nicht viel in der Mühle, ohne dass Walker und Martin es rumerzählen. Die kennen jeden und wissen alles.« Marilyn stellte den Motor ab und fuhr fort: »Ehrlich gesagt glaube ich, dass er es schlimmer macht, als es ist, um ein paar Tage nicht zur Arbeit kommen zu müssen. Er mag Geld, aber er arbeitet nicht gern dafür.«
    »Warum sind wir hier?«
    »Er hatte sich von Jones Geld geliehen. Jetzt, wo Jones tot ist, hofft er, dass ich nichts davon weiß. Nehme ich jedenfalls an. Ich habe von seinem Zweitwagen gehört, und ich habe da eine Idee.«
    Sie stiegen aus und gingen zur Veranda hinüber. Ein Hund, der darunter geschlafen hatte, sprang auf, entsetzt, dass sich jemand einfach so an ihn herangeschlichen hatte, schlug sich den Kopf an der Veranda an und fing an zu bellen.
    »Halt die Klappe«, rief Bill. Der Hund bellte noch ein paarmal, um zu zeigen, wer hier der Boss war; dann gab er Ruhe und legte sich wieder in den weichen Sand unterhalb der Treppe. Er musterte sie wachsam aus seinen glänzenden Knopfaugen, als sie zur Verandatreppe gingen und dort stehen blieben. Er war ein großer, schwarzweißer Jagdhund mit zerfledderten Schlappohren, Andenken an vergangene Waschbärenjagden.
    »Guten Morgen, Mrs. Jones und Constable Sunset«, sagte Bill.
    Sunset fand, er habe ihren Namen etwas abfällig ausgesprochen, aber sie ließ es durchgehen, denn es war wirklich noch zu früh, um ihn einfach zu erschießen, und es würde auch keinen guten Eindruck machen, auf einen Mann mit Krücken zu schießen.
    »Guten Morgen, Bill«, erwiderte Marilyn.
    Die Tür öffnete sich und drei Köpfe kamen zum Vorschein. Kinder, etwa neun bis zwölf Jahre alt, überlegte Sunset. So, wie sie um die Fliegengittertür herumlinsten, sahen sie aus wie übereinandergestapelt: zwei Mädchen, und unten der jüngste, ein Junge mit einem Gesicht wie eine Ratte und Augen wie Kaffeebohnen. Sunset nahm an, dass keiner von den dreien jemals eine Schule von innen gesehen hatte. Die Schule in Camp Rapture ging nur bis zur neunten Klasse. Wenn man danach weitermachen wollte, musste man nach Holiday fahren, wo die Schule bis zur elften Klasse ging. Die meisten blieben nur, bis sie lesen, schreiben und rechnen gelernt hatten, und dann gab es nur noch Feldarbeit oder vielleicht Arbeit im Laden. Die, die ganz großes Glück hatten, gingen drüben in Tyler auf die Friseurschule. Sunset war sich nicht mal sicher, ob Karen am Ende des Sommers auf die Schule zurückkehren würde. Falls ja, musste sie nach Holiday fahren, und Sunset wusste nicht so recht, wie sie das bewerkstelligen sollte.
    »Ihr geht jetzt alle mal wieder nach drinnen«, sagte Bill. »Hier draußen haben die Erwachsenen was zu reden. Los, ab mit euch.« Die Köpfe verschwanden, als hätte sich ein Loch geöffnet und sie

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