Kains Erben
schließlich. »Ich habe keine Zeit, mich mit vorlauten Gören abzugeben. Ich suche eine Kreatur, die sich Amsel von Quarr nennt und mir ein Quartier für meine Leute anweisen soll.«
»Ich nenne mich nicht so«, erwiderte das Mädchen. »Amsel von Quarr ist mein Name, und wenn das Elfchen und der Tolpatsch Eure Leute sind, so sind sie mir willkommen, denn sie sind besser erzogen als Ihr.«
»Du bist die Amsel?«
»Habt Ihr etwas dagegen? Und darf man erfahren, wer Ihr selbst seid?«
Wieder verstummten beide.
»Matthew de Camoys«, sagte er endlich und deutete eine Verbeugung an, obgleich er die einer Bauernmagd nicht schuldete. Etwas in Magdalenes Brust begann zu brennen. Sie hatte sich nie etwas mehr gewünscht, als Sir Matthews würdig zu sein, und sie hatte sich damit getröstet, dass auch keine andere Frau, so hochgeboren sie sein mochte, seiner würdig war. Jetzt stand dieses Mädchen mit dem schief geschnittenen Haar vor ihm, beleidigte ihn und war seiner würdig. Und das Schlimmste war: Magdalene mochte sie und wusste nicht, warum.
»Welche Ehre«, bemerkte die Fremde spöttisch. »Und wie schade, dass Ihr an einen Ort gekommen seid, an dem ein klangvoller Name nicht halb so viel zählt wie ein frommes Herz.«
»Dein Gerede kratzt mich nicht. Wie steht es nun mit dem verdammten Quartier?«
»Zum Besten.« Sie hob ihre Brauen. »Zumindest für bescheidene Menschen, die sich an schlichten Gottesgaben zu freuen wissen und nicht fluchen.«
Er zuckte zusammen, wie ein Junge, der sich unvermutet einen Klaps gefangen hat. Aber er fasste sich schnell. »Hugh. Mag. Ihr geht mit ihr«, befahl er. »Um mein Pferd und den Hund kümmere ich mich selbst.«
Die Kate des Amselmädchens, in der nun auch die Gäste der Abtei Obdach fanden, stand inmitten eines Gemüsegartens, den es allein bestellte. Darüber hinaus sorgte es für das Hühnerhaus, den Bienenstock und ein halbes Dutzend Schweine, die zu St. Martin geschlachtet werden sollten. Zwar durften die Mönche für gewöhnlich kein Fleisch essen, hatte die Amsel Magdalene erklärt, aber sie gaben es Kranken und Gästen und verdienten mit dem Verkauf von Wurst und Schinken Geld für den Unterhalt der Abtei. Das kleine Haus wirkte zugig und windschief, war jedoch aus solidem Fachwerk und Lehmbewurf gezimmert und erstaunlich gut beheizt. Im Gebälk hingen Würste zum Räuchern, und auf der Leine, die um das Haus gespannt war, trockneten silbrig glänzende Fische.
Die Amsel zeigte Magdalene einen Hain voller Obstbäume, der hinter den Gebäuden der Abtei lag. Ein Korb voll Äpfel stand im Haus auf dem Tisch. »Nimm dir, so viel du willst«, sagte sie. »Ich habe sie heute früh auf dem Friedhof gepflückt.«
»Auf dem Friedhof?«
»Es gehört zu den Lebensregeln der weißen Mönche, sich selbst zu erhalten. Deshalb nutzen sie das Land, so gut es geht, und ein Friedhof taugt zugleich als Obstgarten. Wer will, kann im Kreislauf von Winterruhe, Blüte und Frucht ein Sinnbild für Leben, Tod und Auferstehung erkennen.«
Magdalene sah sich um. Vor allen Katen waren Männer bei der Arbeit, doch trugen sie keine Kutten, sondern Bauernkittel.
»Die Mönche verrichten ihren Teil der Arbeit«, erklärte die Amsel, der Magdalenes fragender Blick nicht entgangen war »Doch weil Gebet und Gottesdienst in ihrem Leben den größten Raum einnehmen, kümmern sich die Laienbrüder auf den Grangien um das Land.«
Magdalenes Blick wanderte an ihrer Gestalt hinauf und hinab. Er blieb an dem goldenen Stein hängen, den die Amsel an einem Band um den Hals trug. »Du siehst nicht wie ein Laienbruder aus.«
Die Amsel lachte auf jene freudlose Weise, die Magdalene von Sir Matthew kannte. »Ich habe es schon dem unsäglichen Menschen erklärt, mit dem du gekommen bist«, sagte sie. »Ich bin etwas, das es nicht gibt.«
»Herr Matthew ist kein unsäglicher Mensch!«, fuhr Magdalene auf. »Er hat eine dunkle Traurigkeit in seinem Leben, und sie hat mit dieser Insel zu tun, doch keine Faser an ihm ist schlecht.«
Auf ihre spöttische Weise verzog die Amsel den Mund. »Eine dunkle Traurigkeit? Nun, wenn du mich fragst, sind es Männer wie dein Herr, die den Menschen erst dunkle Traurigkeiten bringen. Er ist ein Eintreiber des königlichen Exchequers, oder nicht? Kein Ritter, der die Schwachen und Hilflosen schützt und für das Wohlbefinden der Allgemeinheit kämpft, wie mir über den Ehrenkodex eines Ritters berichtet wurde. Er soll machen, dass er seines Weges zieht; auf unserer
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