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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Lesenischen, die in der Mauer eingelassen waren, hatten sich Mönche die Kapuzen schützend in die Gesichter gezogen. Manche, so wusste Randulph, kauten dabei auf Pfefferkörnern, damit das Dunkel sie nicht in Schlaf lullte. Wegen der zerrissenen Nächte und der harten Arbeit am Tag waren sie ständig müde.
    Randulph öffnete die Tür des Sprechzimmers neben der Tagestreppe und ließ den Prior ein. In seiner Schlichtheit war der Raum normalerweise geeignet, aufgewühlte Gemüter zu beruhigen. Warum meines nicht?, haderte Randulph. Er wusste, dass seine Unruhe für die Gemeinschaft gefährlich war. Er hatte seine Kindheit in den Mauern einer Burg verbracht, und auf seine eigene Weise war auch ein Kloster eine Burg: Eine einzige Schwachstelle konnte alle Stärke zu Fall bringen, und eine menschliche Schwäche war verheerender als jede andere.
    »Ihr wolltet mich sprechen, Vater?«
    Man erschrak stets aufs Neue, wenn man nach stundenlangem Schweigen die Stimme eines Mitbruders hörte. Randulph deutete mit dem Stab auf den einzigen Schemel im Raum. »Setzt Euch, Prior.«
    Der andere tat, wie ihm geheißen. Er stellte keine Frage, sondern wartete ab.
    Randulph hatte ebendies von ihm erwartet. Die Verpflichtung zu schweigen kam viele Brüder härter an als der Verzicht auf das Übrige: das Prassen, das Lieben, das Streben nach den Belohnungen der Welt. Prior Francis jedoch war seit frühester Kindheit im Kloster und im Schweigen aufgewachsen. Seiner undurchdringlichen Miene sah niemand die geschliffenen Worte an, die sich hinter seiner Stirn formten. Ein wenig glich er darin Randulphs verlorenem Gefährten, der einen Entschluss erst ausgesprochen hatte, wenn er unumstößlich war.
    »Ich habe mit Euch zu reden«, sagte Randulph. »Den Grund dafür könnt Ihr Euch denken.«
    Prior Francis sagte noch immer nichts, sondern wartete, bis Randulph ihm den Befehl erteilte: »Sprecht!«
    »Ich kann mir mindestens zwei Gründe denken.«
    »Dann nennt mir einen.«
    Die Züge des Priors verfinsterten sich. »Der Teufel«, sagte er. »Adam de Stratton.«
    Mahnend hob Randulph einen Finger. »Wenn ich es für nötig hielte, über das Wirken des Bösen zu sprechen, dann gewiss nicht ohne die vorherige Stärkung durch das Gebet. Adam de Stratton ist nur ein Mensch. Womöglich einer der schlechtesten und obendrein der gerissenste, der herumläuft, doch ewig wird er seiner Strafe nicht entgehen. ›Mein ist die Rache‹, spricht der Herr . Was weltliche Gerichtsbarkeit nicht vermag, vollstreckt die himmlische umso sicherer.«
    Mein ist die Rache. Wie oft hatte Randulph sich mit diesem Satz aus dem Deuteronomium zur Ordnung gerufen, und wie oft waren die Worte ungehört verhallt!
    »Derzeit nützt uns das wenig«, bemerkte Francis. »Stratton hat unser Siegel von der Urkunde geschnitten, und damit gehen uns Gelder verloren, die die Abtei dringend braucht. Und wie damals, als er uns um die Ländereien bei Newport betrogen hat, schanzt er unseren Besitz seiner Bienenkönigin auf Carisbrooke zu.«
    »Prior Francis«, fuhr Randulph ihm scharf ins Wort. »Es behagt mir nicht, Euch zurechtzuweisen, doch ich habe deutlich erklärt, dass ich über Adam de Stratton nicht sprechen will.«
    Der Prior senkte den Kopf. »Ich bitte um Vergebung, Vater.«
    Die Hoffnung, Francis werde das Thema von selbst anschneiden, war zunichte. So blieb Randulph nichts übrig, als es selbst zu tun. »Es geht um die Amsel.«
    Prior Francis nickte.
    »Ihr habt mich mehr als ein Mal sagen hören, dass ich sie keinen weiteren Winter auf dem Land der Abtei behalte, habe ich recht?«
    Prior Francis zögerte, dann nickte er erneut. »Ich denke, in etwa zehnmal, mein Vater.«
    »Ich sage es Euch jetzt noch einmal, und diesmal folgt den Worten eine Tat. Erinnert Ihr Euch noch an jenen ersten Tag? Palmsonntag. Der Himmel war wie mit Blei gefüllt, und als er aufbrach und sich über uns ergoss, glaubte man an den Weltuntergang. Nass bis auf die Knochen stand ich am Tor, wartete auf einen Knaben und bekam ein Mädchen. Vom ersten Blick auf es wusste ich, dass ich es fortschaffen musste, wenn ich den Frieden der Abtei nicht gefährden wollte. Aber wie hätte ich es dem grausamen Schicksal ausliefern können, das ihm zugedacht war? Es bleibt ein Geschöpf des Herrn.«
    »Und wie konntet Ihr es Euch mit Adam de Stratton verderben? Er schneidet sich ohnehin von jedem Schinken, der Euch zukommt, seinen Batzen.«
    »Ich gestatte Euch solche Reden nicht!« Randulph sprang auf und hielt,

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