Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
Vom Netzwerk:
ehe er sich versah, den bleiernen Kerzenhalter in der Faust. Der Jähzorn, die Familienkrankheit, die ihn letztlich zur Buße an diesen Ort verbannt und jede andere Hoffnung in ihm erstickt hatte, brach sich wieder einmal Bahn. Rasch vollzog er die Venia, die tiefe Verneigung, bis seine Knie und die Knöchel seiner Hände den Boden berührten. Sein Leib bat für ihn inniger um Vergebung, als sein Geist es vermochte.
    »Adam de Stratton bat mich um einen Gefallen unter Glaubensbrüdern«, erklärte er, sobald er sich erhoben hatte. »Ich willigte ein, weil kein Zisterzienser einem Menschen in Not die Tür weist. Ich denke auch jetzt, nach mehr als zehn Jahren noch, ich habe das Einzige getan, das möglich war.«
    »Ich hatte nicht vor, das zu bestreiten, Vater.«
    »Das glaube, wer will. In jedem Fall kommt das Mädchen fort. Ich gebe es Matthew mit, wenn er aufbricht. Er will vor Einbruch des Winters in Yorkshire sein, und er kann mir das Mädchen nach Fountains Abbey schaffen.«
    Der Prior verzog einen Mundwinkel. »Wenn Ihr ein Lamm fortschaffen wollt, gebt Ihr es einem Wolf in die Fänge?«
    »Matthew ist ein christlicher Ritter, er folgt einem Ehrenkodex. Zudem weiß er nicht, wer sie ist. Er wird es schlicht als seine Pflicht betrachten, ein Mädchen, das ich ihm anvertraue, heil ans Ziel zu bringen.«
    »Ich bitte um Vergebung, mein Vater – glaubt Ihr das wirklich?«
    »Ihr kennt Matthew nicht!«
    »Und Ihr?«
    Eine Antwort saß Randulph auf der Spitze der Zunge, doch dort blieb sie und versiegte. Der Prior hatte recht. Matthew war ein Rotzbengel von acht Jahren gewesen, als Randulph ins Kloster eingetreten war. Dass er den Jungen damals gemocht hatte, zählte nicht, und dass er in seinem Gesicht die Züge wiederfand, die er einst geliebt hatte, erst recht nicht. Was Randulph von dem Mann, der Matthew geworden war, wusste, war alles andere als angenehm. Dennoch blieb ihm nichts übrig, als ihm zu vertrauen. Die Amsel musste weg. Dass Adam Siegel von Urkunden schnitt und nichts unterließ, um seine Feinde zu reizen, war nur eines der Zeichen dafür, dass die Schlinge um das Mädchen sich zuzog. Carisbrooke war nach wie vor ohne Erben, und Cyprian hatte Matthew auf die Insel gesandt – längeres Zögern konnte zum tödlichen Versäumnis werden.
    Randulph unterdrückte ein Seufzen.
    Cyprian. Der Name war und blieb der Refrain seines Lebens. Der Versuch, ihn aus seinem Wortschatz zu bannen, war sinnlos; er war mit dem Brandeisen in sein Gedächtnis geprägt: Cyprian, Cyprian, Cyprian.
    »Ich habe keine Wahl«, sagte er zu Francis.
    »Sie wird in Fountains ebenso wenig bleiben können wie hier.«
    »Nicht für immer«, räumte Randulph ein. »Aber die Abtei ist größer und verfügt über mehr Verbindungen. Es soll dort sogar eine Zelle von Schwestern begründet worden sein, der sie sich anschließen kann.«
    Dass er auch um seiner selbst willen das Mädchen fortschicken musste, behielt er für sich.
    »Mein Vater«, sagte Francis leise.
    »Prior?«
    »Glaubt Ihr, die Amsel ist für ein Leben im Orden geschaffen?«
    Randulph schloss kurz die Augen und behauptete: »Ja.«
    Von Neuem schwieg der andere, bis Randulph wagte, ihn wieder anzusehen. Francis erschien ihm in diesem Augenblick unerbittlich – wie der Mann, der über seine Jugend gewacht hatte und lieber gestorben war, als im rechten Augenblick seinen Standpunkt zu leugnen. »Sagt mir, was Ihr denkt.«
    »Ich denke, dass Ihr das Mädchen hierbleiben lassen solltet. Es sind so viele Jahre vergangen. Wer immer sich anfangs an seiner Gegenwart störte, hat sich inzwischen daran gewöhnt. Wenn einer der Männer, die einen Groll gegen Adam hegen, von ihm weiß, ist es überall in Gefahr, nicht nur hier. Und es betrachtet Quarr als sein Zuhause – zumindest soweit es einem aus dem Nest gefallenen Wildvogel möglich ist.«
    »Es geht nicht, Prior! Sie war ein Kind, als sie herkam, doch sie ist keines mehr. In Fountains herrschen andere Verhältnisse. Nicht nur, dass man dort Schwestern die Gründung einer Zelle ermöglicht, sie haben auch Frauen auf den Grangien, zur Hilfe für die Konversen. Hier hingegen verstößt die Anwesenheit einer Frau gegen die Ordnung.«
    »Tut sie das? Ist nicht die Geschichte der Amsel ein Fall, der außerhalb jeder Ordnung steht? Letztlich nennen wir sie deshalb doch die Amsel, statt sie bei ihrem Taufnamen zu rufen. Unsere Gemeinschaft hatte bisher die Kraft, damit fertigzuwerden. Bitten wir den Herrn, sie uns auch weiterhin zu

Weitere Kostenlose Bücher