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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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konnten wir ja nicht, und alle waren tief gerührt.
    Ohne großes Risiko waren auch die marxistischen Schulungsabende bei Franz und die Informationsabende in unserer oder Lottes Wohnung; lediglich beim Abhören der deutschsprachigen Sendungen von Radio Moskau hatte ich etwas Herzklopfen.
    Aufregung gab es, wenn Franz, was nur in den ersten Jahren geschah, von irgendwoher ein Päckchen erhielt mit Exemplaren einer illegalen Zeitung, die zu verteilen waren, oder wenn ich mit Mimi zusammen abends zwei selbstgefertigte Zettel mit Anti-Hitlerparolen an Laternenpfähle klebte. Das geschah nur hin und wieder. Es kam auch vor, daß wir ein paar Flugblätter in Briefkästen steckten.
     
    Als die Verdunklung in den Kriegsjahren das Ankleben von Handzetteln etwas erleichterte, hatte Mimi die Idee, einmal ein etwas größeres Plakat zu malen, auf dem mehr als nur ein kurzer Satz stand. Wir trennten aus einem Schulheft zwei Blätter heraus und bemalten sie mit Hilfe einer extrabreiten Redisfeder und schwarzer Tusche. Außer »Nieder mit Hitler« stand noch jeweils ein anderer Satz darauf. An den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht mehr, aber der ganze Text war nur so lang, daß man ihn im Vorübergehen lesen konnte, denn vor einem Anti-Hitler-Plakat stehenzubleiben, das wagte kein Mensch. An den vier Ecken befestigten wir Klebestreifen und rollten die beiden Blätter ineinander.
    Es war gar nicht so einfach, einen geeigneten Platz zum Ankleben zu finden. Da fiel mir der Ostbahnhof ein, wo jeden Morgen viele Pendler aus den Vororten ankamen, die in dem östlichen Industriegebiet von Frankfurt arbeiteten. Wenn man hier spätabends die zwei kleinen Plakate anschlagen könnte, würden sie von vielen gesehen.
    Ich inspizierte Bahnhofsvorplatz und Schalterhalle und fand auch zwei geeignete Stellen, die Seitentür am südlichen Ausgang, durch die man in die Toilettenanlage ging, und einen Holzzaun am nördlichen Nebenausgang. Die Klebeaktion selbst mußte so ablaufen: Beim Hinausgehen aus der Toilette konnte ich in wenigen Sekunden im Aufdrücken der Pendeltür das bereitgehaltene Papier daran befestigen. Dann mußte ich schnell um das Hauptportal herumgehen, das zweite Blatt an den Zaun kleben, wo abends kaum jemand vorbeikam, und, falls noch genügend Zeit war, vier Reißnägel eindrücken. Um halb zwölf, eine halbe Stunde vor Abgang des letzten Zuges, war kein Mensch in der Schalterhalle. Das war die günstigste Zeit.
    Alles lief so ab, wie ich es geplant hatte. Ich war sehr aufgeregt, denn ich wußte, wie gefährlich die Geschichte werden konnte. An der Tür klebte schon das eine, am Zaun das zweite Blatt, und niemand hatte mich bemerkt. Aus der Jackentasche kramte ich die Reißnägel.
    In diesem Augenblick hörte ich eine Stimme in meinem Rücken: »Was soll das? Was machen Sie da?« Ich drehte mich um. Zwei Bahnpolizisten standen hinter mir. Ich hatte sie nicht kommen hören. Während einer sich nach vorn beugte, um zu lesen, was auf dem Blatt stand, faßte mich der andere am Arm und herrschte mich an:
    »Kommen Sie mit!«
    Da riß ich mich los, jagte quer über die im Dunkel liegende Grünanlage des Bahnhofsvorplatzes und lief um mein Leben.
    Ich weiß nicht, wie lange mich die Bahnpolizisten verfolgten, schaute mich nicht um, rannte immer nur weiter, um noch eine Straßenecke und noch eine. Dann befand ich mich plötzlich in der Habsburger Allee. Es war kurz vor Mitternacht. Zweihundert Meter entfernt, in der Brüder-Grimm-Straße, wohnte Mimi. Wenn ich ihr Haus erreichte, wäre ich gerettet. Zum erstenmal blickte ich hinter mich. Weit und breit war kein Mensch. Ich hatte die Polizisten abgeschüttelt.
    Unbehelligt kam ich an das Haus, stieg über das Vorgartentor und gelangte von der Rückseite durch den unverschlossenen Waschkücheneingang in das Treppenhaus. Ich zitterte, als hätte ich Schüttelfrost, und mußte mich auf die Treppe setzen. Nun begannen auch wieder meine Magenschmerzen.
    Frau Hermann, bei der Mimi im Mansardenstock zur Untermiete wohnte und die auch mich kannte, öffnete die Flurtür und fragte erschrocken, ob sie mir helfen könne oder Mimi Bescheid geben solle. Ich murmelte etwas von starken Herzbeschwerden und zog mich langsam am Geländer die Treppe hoch.
    Mimi legte mir heiße Tücher auf den Bauch und setzte sich zu mir aufs Sofa. Ich wollte ihr erklären, was in der letzten Stunde vorgefallen war, aber sie wehrte ab. »Ruh dich erst aus. Später kannst du mir erzählen, was geschehen

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