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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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ist.«
     
    Ich lag auf Mimis Sofa in der Wohnküche und hatte gar keine heldischen Gefühle. Es war einfach dumm, mit solchen nichts bewirkenden Heldentaten unser aller Leben aufs Spiel zu setzen. Aber was trieb mich, den Helden zu spielen? So paradox es sich anhören mag: es war nichts als Feigheit. Ich war zu feige, nein zu sagen, wenn Mimi meinte, es müsse wieder einmal etwas getan werden, damit die Bevölkerung sehe, daß es in Deutschland noch Kommunisten und Antifaschisten und einen Widerstand gegen Hitler gebe. Ich war zu feige, nein zu sagen, obwohl ich die Sinnlosigkeit solchen Tuns auch damals schon deutlich empfand und das traurige Schicksal einer Reihe politischer Freunde unserer Familie kannte, die zum großen Teil wegen Lappalien für Jahre ins Zuchthaus oder ins Konzentrationslager geschafft wurden; viele von ihnen kamen nie mehr zurück.
    Es gibt noch, glaube ich, einen zweiten Grund, weshalb ich damals mit so viel Angst den Helden spielte: es war ein Aufbegehren gegen Mama. Sie hatte mir jahrelang eingehämmert, die einzige Chance zum Überleben sei Schweigen, Sich-Ducken, nichts tun. So hat sie, aus Angst vor dem Entlarvt-werden, die ganze Familie zu Feiglingen gemacht, die, um nur nicht bemerkt, nicht erkannt zu werden, am liebsten in sich selbst hineingekrochen oder vor sich selbst davongelaufen wären.
     
    Wenn ich an unsere illegale Zelle denke, steht mir zuerst Mimi vor Augen. Sie war für mich der wichtigste Teil der Gruppe. Ohne sie wäre mir die Arbeit im Untergrund vielleicht nicht interessant genug gewesen, ohne sie wäre ich ein noch schlechterer oder gar kein Widerständler geworden. Sie gab mir einen Halt und meinem Tun einen gewissen Sinn. Und zudem war die Zeit mit Mimi eine schöne Zeit und eine wichtige Wegstrecke in meinem Leben.
    Wir waren schon länger gemeinsam in der Gruppe tätig, als ich das erste Mal mit ihr schlief. Sie war damals achtundzwanzig Jahre alt und ich zwanzig. Sie kannte meine Schwierigkeiten und half mir, sie zu überwinden. Daß ich vieles aufholen konnte, was ich durch Mamas Ängstlichkeit bisher versäumt hatte, habe ich ihr zu verdanken.
    Mit einigen Unterbrechungen war ich mit Mimi bis zum Kriegsende zusammen. Unsere illegale Gruppe hatte bereits im Spätsommer 1944 wegen Einberufungen zum Kriegsdienst, wegen der Flucht aus dem zerbombten Frankfurt und Dienstverpflichtungen nach außerhalb aufgehört zu existieren. Wir machten uns oft über unsere Zukunft Gedanken. Mimi sprach von einem Verhältnis auf Zeit, von einer Vernunftehe. Wenn wir beide wieder aus der politischen Versenkung auftauchen konnten, so vereinbarten wir, sollte jeder über seinen weiteren Lebensweg frei entscheiden.
    Wir mochten uns sehr, ob wir uns liebten, weiß ich nicht, obwohl ich eifersüchtig war, wenn Mimi sich noch mit anderen Männern einließ, was häufiger geschah, und Mimi war sehr traurig über meine Affäre mit Ionka, einer bulgarischen Studentin. Zeitweise waren wir glücklich miteinander, besonders dann, wenn wir zusammen auf Reisen gingen. Wir reisten beide gern.
    In einer solchen Zeit des Glücklichseins geschah etwas, das um ein Haar zu meiner Entlarvung geführt und damit auch Mimi in größte Schwierigkeiten gebracht hätte. Ich war allein daran schuld, hatte so sträflich leichtsinnig gehandelt, daß ich es später selbst nicht mehr verstehen konnte.
    Glück macht geschwätzig, vertrauensselig und leichtsinnig, ich habe es immer wieder erlebt, mit Mimi, mit Rosa und auch mit Ionka.
     
    Verbissen stemmte sich Mama gegen mein Verhältnis mit Mimi. Sie verteufelte und verfluchte sie, wann immer sie konnte, und ließ keine Gelegenheit verstreichen, um mir Vorwürfe zu machen und mich als einen Narren, einen Hanswurst in den Armen einer durchtriebenen Schickse darzustellen.
    In dieser Spannung fuhren meine Schwester Paula und ich im Spätsommer 1944 mit Mama in den Schwarzwald, wo sie Erleichterung und Besserung für ihr krankes Herz erhoffte.
    Mit Mimi hatte ich verabredet, daß ich nach einigen Tagen Mama verlassen und mich mit ihr in Hinterzarten treffen würde. Als ich Mama sagte, ich wolle noch einige Tage allein durch den Schwarzwald wandern, spürte sie instinktiv, daß Mimi dabei im Spiel war. »Geh nur«, sagte sie bitter, »ich brauche dich nicht.«
    Trotzdem fuhr ich davon, aber das schlechte Gewissen verdarb mir die Freude am Zusammensein mit Mimi. Vergeblich war ihr Bemühen, mich von meinen trüben Gedanken abzubringen. Da schlug sie vor, wir sollten

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