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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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Ionka, wer Heinz Beckerle ist?«
    »Welchen Beckerle meinst du? Den in Sofia?« »Ja, den deutschen Botschafter.« Ionka blieb stehen. »Warum fragst du das?« »Nur so.«
    »Was willst du von mir hören?« fragte sie abweisend. »Ich dachte, es könnte dich interessieren, daß Beckerle auch aus Frankfurt kommt.« »Ich weiß.«
    »Woher weißt du das?« Ich war überrascht. »Kennst du ihn denn?«
    »Ich habe ihn schon mal gesehen.« »Wo?«
    »In Sofia natürlich. Wo sonst.«
    »Hattest du etwas mit der deutschen Botschaft zu tun?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Weil du Beckerle kennst.«
    »Den kennen viele in Bulgarien.«
    »Und weil du weißt, daß er aus Frankfurt kommt.«
    »Das ist Zufall.«
    Es schien, als habe Ionka wenig Lust, sich mit mir über Beckerle zu unterhalten. Doch mit ihren Antworten hatte sie mich neugierig gemacht. Deshalb sagte ich: »Beckerle ist ein alter Frankfurter. Er war hier lange Zeit Polizeipräsident.«
    Sie ging einige Schritte schweigend neben mir her. Auch ich schwieg. Plötzlich blieb sie stehen und sagte erregt: »Willst du eigentlich etwas Bestimmtes von mir hören? Willst du mich vielleicht prüfen?«
    »Aber nein, Ionka!«
    »Es hörte sich aber genau so an«, erwiderte sie. Ich war betroffen und fragte mich, warum sie ärgerlich war. Nie wäre mir vorher in den Sinn gekommen, sie irgendwie mit Beckerle in Verbindung zu bringen. Ich nahm mir vor, bei anderer Gelegenheit noch einmal mit ihr darüber zu sprechen. Der Abend war mild, schnell vergaßen wir die Mißstimmung, und Ionka war zärtlich wie an allen Abenden.
     
    Zwei Tage später, in den Anlagen am Main, fragte sie mich ganz unerwartet: »Sag, Walja, wie lange war Beckerle Polizeipräsident in Frankfurt?«
    »Ich glaube, von 1933 bis zum Kriegsausbruch.«
    »Dann war er auch der Mann, der hier die Aktionen gegen die Juden geleitet hat?«
    »Sicherlich. Als Polizeipräsident war er der verantwortliche Mann.«
    »Für alles?«
    »Das nehme ich an. Beckerle war ja auch ein hoher SA-Führer. Und die SA war immer dabei, wenn's gegen die Juden ging.«
    Ionka sagte: »Genau wie in Sofia. Mit ihm kam das Unglück. Ich kenne ihn gut.«
    Nach einer Weile fragte ich, wie schon vor zwei Tagen: »Woher eigentlich kennst du ihn?«
    »Frag nicht. Wenn du wüßtest, Walja, wieviel Schreckliches in Bulgarien passiert ist.«
    Dann schilderte mir Ionka, wie sich Bulgarien verändert hatte, seit 1941 deutsche Truppen einmarschierten und Beckerle deutscher Botschafter in Sofia geworden war. Er allein herrsche im Land, und König und Parlament müßten tun, was er befehle. Er verfolge und töte die Patrioten und schaffe alle Juden in Konzentrationslager, genau wie in Deutschland. Ionka hielt inne und schaute mich von der Seite an, als wolle sie prüfen, wie ich darauf reagiere. »Weißt du denn, Walja, was in Wirklichkeit mit den Juden geschieht?«
    Zu dieser Zeit war das eine gefährliche Frage. Darauf einzugehen konnte noch gefährlicher sein. Darum gab ich vorsichtig zur Antwort: »Ich glaube ja.«
    »Ist das nicht furchtbar?«
    Ich nahm sie in den Arm und küßte sie. »Daß du das gesagt hast, macht mich froh, Ionka.« »Warum?«
    »Weil ich jetzt weiß, daß wir beide ähnliche Gedanken haben. Aber es sind Gedanken, die man nicht aussprechen darf.«
    »Das weiß ich besser, als du denkst, Walja.« »In Deutschland muß man sehr vorsichtig sein und sich jedes Wort gut überlegen.«
    »Habe ich zuviel gesagt?« fragte sie.
    Ich erwiderte: »Sag so etwas niemand anderem, Ionka. Hörst du: niemand!«
    »Ich müßte dir noch viel mehr erzählen, Walja, aber da würdest du erschrecken oder es gar nicht verstehen.«
    Ionkas Bekenntnis gegen die Nazis und ihre Andeutungen über das, was sie noch zu sagen habe, beschäftigten mich eine Nacht und einen ganzen Tag. Nie zuvor hatten wir über so aktuelle politische Dinge gesprochen. Den ersten Versuch hatte sie abrupt unterbrochen. Und dann diese spontane Äußerung. Das war ein großer Leichtsinn. Als ich es ihr am Tag darauf sagte, antwortete sie: »Ich wußte, daß ich es dir sagen kann, Walja, ich habe Vertrauen zu dir.«
    Muß man nicht jemandem ebenfalls vertrauen, der so etwas sagt, selbst in jener Zeit? Ich küßte sie an der Straßenbahnhaltestelle mitten auf der Hauptwache, was damals, 1942 bei den Umstehenden noch viel Aufmerksamkeit erregte. Was ich damit ausdrücken wollte, verstand sie auch ohne Worte.
    Ich nahm sie bei der Hand, zog sie auf die andere Straßenseite, vorbei an der

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