Kaiserhof Strasse 12
Koffer mitnehmen und ihn auf einen Tisch stellen. Zwei Beamte durchwühlten ihn, nahmen jedes einzelne Stück in die Hände und klopften die Kofferdeckel ab. Dann mußte ich mich an eine Schmalseite des Schreibtisches stellen, und ein Beamter betastete mich von oben bis unten. Ich hatte große Angst, er könnte mir die Hosen öffnen. Doch das tat er nicht.
Danach begann das Verhör. Die Gestapomänner wollten wissen, was ich in Singen zu suchen gehabt hätte, mit wem wir uns hätten treffen wollen und ob mir die Ausländerbestimmungen im Grenzgebiet nicht bekannt seien. Meine Antworten schienen ihnen nicht zu genügen. Sie wurden bissiger, ungeduldiger, wollten, so vermutete ich, unbedingt einen Spion entlarven, was für sie auch zweifellos interessanter gewesen wäre, als sich mit einem Irrläufer im militärischen Sperrgebiet zu befassen.
Der Vernehmungsbeamte schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte wütend: »Schluß mit dem dummen Gequatsche. Nun mal raus mit der Sprache! Wir haben keine Lust, uns mit Ihnen bis übermorgen zu unterhalten.«
Da ich ihm aber den Gefallen nicht tun konnte und bei meinen Aussagen blieb, daß ich nur aus Unbedachtheit so nahe an die Grenze gekommen sei, brachten sie mich schließlich ins Wartezimmer zurück und verschlossen es.
Zwei Stunden später holten sie mich wieder. Die Vernehmungsbeamten hatten sich in der Zwischenzeit Informationen aus Frankfurt beschafft. Sie kannten Einzelheiten meiner Familie, wußten, wo und was ich arbeitete. Trotzdem merkte ich, da es keine neuen Fragen gab, daß sich ihr Verdacht nicht verstärkt hatte. Nicht einmal wegen meiner russischen Herkunft waren sie mißtrauisch.
Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Einer der Gestapoleute ging nach draußen und kam kurze Zeit später mit einem Mann mittleren Alters herein, der nervös und unsicher wirkte.
»Kennst du den?« fragte der Gestapomann und deutete auf mich.
Der Fremde musterte mich einen Augenblick und sagte bestimmt: »Nein.«
»Schau ihn dir genau an.« »Ich kenne ihn nicht. Nein.«
Der Beamte, der den Mann hereingebracht hatte, faßte ihn am Arm und führte ihn wieder hinaus. Was die Gestapo mit dieser Gegenüberstellung erreichen wollte, war mir nicht klar.
Nun endlich durfte ich gehen. Ich erhielt meinen Paß zurück und die strikte Anweisung, mit dem nächsten Zug das Grenzgebiet zu verlassen.
Draußen auf dem Gang wartete schon Mimi. Wir schauten uns an und dachten beide dasselbe: Wie konnten wir nur so unvorsichtig sein!
Es langte mir wohl nicht, Jude, russischer Jude und Kommunist und staatenlos zu sein, einen falschen Namen und einen jidelnden Papa mit einem falschen Paß zu haben, in einer illegalen politischen Gruppe zu arbeiten. Ich mußte auch noch, nur weil es mir Spaß machte oder weil es Mimi Spaß machte, in das Grenzgebiet fahren, damit mich die Gestapo schnappen und in so gefährlicher Weise ausfragen konnte.
Eine halbe Stunde später saßen wir im Zug nach Tuttlingen. Die Strecke führte wieder über Singen. Und prompt wurden wir auf der Station Radolfzell von einem Grenzpolizisten kontrolliert, der pflichtgemäß an meinem Fremdenpaß Anstoß nahm und ihn gleich in die Tasche steckte. Freundlich sagte er, es täte ihm leid, aber in Singen müßten wir den Zug verlassen. Er werde sich dort erkundigen, ob meine Angaben stimmten.
Da saßen wir also wieder in Singen. Diesmal in der Amtsstube der Bahnpolizei. Dort drüben, zweihundert Meter weiter, lag das Hotel »Sternen«, so normal, so friedlich, als sei in den letzten zehn Stunden nichts passiert. Im Hintergrund reckte sich der Hohentwiel in die Höhe. Ich habe ihn bis heute nicht bestiegen.
Der Grenzpolizist telefonierte erst mit der örtlichen Polizeistelle, dann mit der Gestapo in Konstanz. Er lächelte mich an, klatschte sich mit meinem Paß auf die flache Hand und gab ihn mir zurück. »Alles in Ordnung. Sehen Sie zu, daß Sie hier schnellstens verschwinden.«
Wir nahmen den nächsten Zug. Der Abschied von Singen fiel uns nicht schwer.
Du hast Mimi unrecht getan, Mama, wenn du weinend mich verflucht und Mimi eine Hure genannt hast. Das war sie nicht. Aber sie war die erste Frau, die Anspruch auf deinen Sohn Walja erhob, und sie war eine Schickse. Trotz deiner politischen Aufgeklärtheit, deiner Abkehr vom orthodoxen Judentum und der strikten Verurteilung aller rassischen Vorbehalte - bei Mimi hat es eine wichtige Rolle gespielt, daß sie keine von unseren Leuten war. Eine Schickse ist ja
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