Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
Vom Netzwerk:
Französisch war hervorragend. Ebenso perfekt sprach sie Englisch und Russisch.
    Ich schlug ihr vor, wir sollten uns gleich am andern Morgen nach einem neuen Zimmer umschauen. Sie brauche sich auch keine Sorgen um eine neue Arbeitsstelle zu machen, versuchte ich sie zu beruhigen, die fänden wir sehr schnell.
    Ionka schüttelte den Kopf: »Mach dir keine Mühe. Ich suche keine andere Wohnung - ich fahre nach Sofia zurück.«
    Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Nach Sofia zurück?«
    »Ja, du hast richtig verstanden.«
    »Um Himmels willen, warum denn das, Ionka? Und warum ausgerechnet jetzt?« Ionka schwieg.
    »Sag doch etwas! Kann ich dir helfen?«
    Sie machte eine resignierende Handbewegung. »Du kannst mir nicht helfen. Ich muß zurück, es geht nicht anders. Nicht wegen mir, wegen dir, Walja, und wegen deiner Familie.«
    »Aber das läßt sich doch alles klären!«
    »Nein, glaub es mir.«
    »Wir müssen darüber sprechen.«
    »Das verstehst du nicht.«
    »Dann erklär es mir!«
    »Laß sein!« Mehr war nicht aus ihr herauszubekommen. Einige Tage später bat sie mich, mit ihr in den Ostpark zu fahren. Sie wolle mit mir sprechen und ganz sicher sein, daß uns niemand belauschen könne.
    Während wir Hand in Hand quer über die Ostparkwiese gingen, am Weiher entlang und durch die Gärten, erzählte mir Ionka die Geschichte ihres Freundes Michael Todoroff. Michael, der Sohn eines Bibliothekars, ein unauffälliger und politisch uninteressierter Junge, hatte an der Universität in Sofia Sprachen studiert, zur gleichen Zeit, als auch Ionka mit ihrem Studium begonnen hatte. Sie trafen sich in den Vorlesungen und Seminaren und freundeten sich an.
    Im dritten Semester passierte es, daß ein Student Ionka anpöbelte. Als Michael ihn deswegen zur Rede stellte, kam es zu einer Schlägerei auf dem Universitätsgelände, wobei der andere durch Messerstiche verletzt wurde. Michael erhielt mehrere Monate Gefängnis, und man verwies ihn von der Universität.
    Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis bemühte er sich vergeblich, wieder zum Studium zugelassen zu werden. Damals, im Herbst 1941, hatten die deutschen Truppen bereits Bulgarien besetzt. Hitlersympathisanten und Kollaborateure schlossen sich mit deutschen Offizieren und Besatzungsangestellten zu einem bulgarisch-deutschen Freundeskreis zusammen, dem auch einige bulgarische Studenten angehörten. Einer von ihnen riet Michael, an den Zusammenkünften dieses Kreises teilzunehmen; dort werde er Kontakt zu deutschen Besatzungsfunktionären bekommen, die auf die Universitätsleitung Einfluß hätten.
    Nach einigem Zögern nahm Michael die Empfehlung an und wurde dort auch sehr schnell mit einem Angehörigen der deutschen Botschaft bekannt. Als er von Michaels Schwierigkeiten hörte, bestellte er ihn in sein Büro und bot ihm an, dafür zu sorgen, daß Michael weiterstudieren könne, wenn er sich zu einer Gegenleistung verpflichte. Diese bestand darin, in einer antifaschistischen Studentengruppe als »Beobachter« tätig zu werden. Michael wußte, was das bedeutete und sagte trotzdem zu, weil er glaubte, keine andere Chance zu haben, sein Studium fortzusetzen.
    Eines Tages erklärte ihm sein deutscher Kontaktmann, die Rücknahme der Relegation würde noch einige Zeit auf sich warten lassen, darum habe man ihm für ein Semester einen Studienplatz an der Frankfurter Universität besorgt. Er müsse bereits in der nächsten Woche nach Frankfurt abreisen.
    Michael befürchtete, daß das Studium in Frankfurt mit seiner geheimdienstlichen Tätigkeit zusammenhing. Ionka, der er sich kurz vor seiner Abreise anvertraut hatte, war ebenfalls dieser Meinung. Aber absagen konnte Michael nicht. Man fragte ihn schon gar nicht mehr, sondern übergab ihm die Fahrkarte nach Frankfurt und die Anweisung, mit welchem Zug er zu fahren habe. Auf einem Zettel stand die Adresse in der Straße Am Tiergarten, wo bereits ein Zimmer für ihn gemietet war. Er mußte auch keine deutsche Dienststelle in Frankfurt aufsuchen, die Mittelsmänner kamen in seine Wohnung und brachten ihm seine Papiere dorthin.
    Ionka, die sich mitschuldig fühlte an Michaels Kontakten zum deutschen Geheimdienst, folgte ihm kurze Zeit später nach Frankfurt. Sie hoffte, ihn dazu bringen zu können, seine Spitzeltätigkeit aufzugeben.
    Michaels Vermutung bestätigte sich. Man hatte ihn hierhergeholt, um ihn zum V-Mann auszubilden. Dabei konnte er sich tatsächlich an der Frankfurter Universität immatrikulieren und seine

Weitere Kostenlose Bücher