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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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nicht nur eine Nicht-Jüdin, sie steht, ohne daß man darüber ein Wort zu verlieren braucht, unserer jüdischen Arroganz entsprechend, eine Rangstufe unter uns.
    Und da war noch die verzweifelte Angst, mit der du jeden Eindringling in unsere Familie als einen Feind empfunden hast, der abgewehrt werden mußte. Angst macht starr und steif, macht zittern und sabbern, stottern und stammeln, macht impotent und denkunfähig, Angst macht Gerechte zu Lügnern und Getreue zu Verrätern. Diese Angst hat dein Verhältnis zu Mimi geprägt und dich ungerecht werden lassen.
    Als später amerikanische Flugzeuge die Frankfurter Innenstadt zerbombten und auch die linke Hinterhaushälfte in der Kaiserhof Straße 12 ein Trümmerhaufen wurde - unsere Wohnung lag in der rechten Hälfte -, da bist du mit der ganzen Familie in den Rodgau nach Jügesheim geflohen und in Mimis Notwohnung untergeschlüpft. Und Mimi nahm uns alle auf.
     

Ionka
    Ich hatte den Abend bei Mimi verbracht. Mitternacht war vorüber, als ich mich auf den Heimweg machte. Mama wartete auf mich. Sie schlief nicht ein, bevor wir alle zu Hause waren; und ich kam meistens als letzter. Wegen der Verdunklung brannten keine Straßenlaternen. Niemand begegnete mir. Die Menschen gingen, in Erwartung des nächsten Fliegeralarms, zeitiger zu Bett als in den ersten Kriegsjahren. Ich lief an der hohen Backsteinmauer des Zoologischen Gartens entlang, wo die alten, dichten Platanen auch noch den letzten Schimmer des Mondlichts abfingen. Dort war es so finster, daß man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte.
    Plötzlich hatte ich das Gefühl, an jemandem vorübergegangen zu sein, der sich an die Mauer drückte. Ich erschrak, drehte mich um und erkannte die schattenhaften Umrisse einer Frau. Ihr Gesicht und die Hände waren ein wenig deutlicher zu sehen. Ich ging einen Schritt auf sie zu. Sie lief nicht davon, kramte in der Handtasche herum, und dann hielt sie mir mit ausgestrecktem Arm einen Zettel entgegen. Ich nahm ihn, konnte ihn aber in der Dunkelheit nicht lesen.
    »Kommen Sie«, sagte ich und überquerte die Straße. Sie folgte mir mit einigem Abstand. In einem Hauseingang der gegenüberliegenden Königswarterstraße las ich im kurzen Aufflammen eines Streichholzes unter dem Jackett: Beethovenstraße 12.
    »Wollen Sie dorthin?«
    »Ja, ich weiß nicht den Weg.« Sie sprach nur gebrochen deutsch.
    »Ich gehe zum Opernplatz. Von dort ist es nicht mehr weit zur Beethovenstraße.«
    So gingen wir zusammen die Zeil hinunter. Seit zwei Stunden schon fuhren keine Straßenbahnen mehr. Ab und zu schaute ich sie an und versuchte, trotz der Dunkelheit, ihr Gesicht zu erkennen.
    »Wollen Sie mit einem Taxi fahren?« fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich gehe lieber zu Fuß.«
    Sie war sehr hübsch, etwa so alt wie ich, hatte ein schmales Gesicht, und ihr glattes, schwarzes Haar reichte bis auf die Schultern. Man hätte sie für eine Jüdin halten können.
    Ich merkte, daß auch sie mich ansah. Mir war nicht wohl dabei. Eine Zeitlang schwiegen wir, dann sprachen wir von der Verdunklung, vom Krieg, das übliche.
    Allmählich erfuhr ich, daß sie erst drei Wochen zuvor aus Bulgarien nach Deutschland gekommen war, in Sofia studiert hatte, jetzt bei einer Familie in der Beethovenstraße im Haushalt arbeitete und dort auch wohnte. Der ungewöhnliche Wechsel von der Universität in den Haushalt verwunderte mich zwar, ich machte mir aber weiter keine Gedanken darüber. Nach einer Weile stellte sich heraus, daß wir uns am besten in Französisch verständigen konnten.
    Als wir eine Straße überquerten, hielt ich sie leicht am Arm fest, damit sie in der Dunkelheit nicht stolpere. Sie hatte nichts dagegen. Kurz vor der Konstablerwache gab es Fliegeralarm. Ich nahm ihre Hand und rannte mit ihr die Straße entlang zum nächsten öffentlichen Luftschutzkeller. Dabei mußte ich, wegen der Dunkelheit, ihre Hand ganz fest halten, und das war mir sehr angenehm. Dort beim engen Nebeneinandersitzen spürte ich deutlich ihren Körper und ihre Wärme. Als ich den Arm behutsam und zögernd um ihre Schultern legte, weil man so auf der schmalen Bank besser sitzen konnte, lächelte sie mich an. Ich sprach nicht mit ihr, saß nur stumm da, schaute ihr ab und zu ins Gesicht und lächelte auch. Dabei beobachtete ich voller Unruhe den Luftschutzwart, der, in der dunkelbraunen Uniform eines NS-Amtswalters, mit strengem Gesicht durch die Kellerräume ging. Ich bildete mir ein, er mustere uns beide

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