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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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stummen Zwiesprache mit Mama. So konnte ich meinen Gedanken nachhängen.
    Mir war schrecklich elend zumute. Wie gerne hätte ich geweint, dann wäre vielleicht alles leichter gewesen, aber in dieser Stunde auf dem Weg nach Frankfurt mit der toten Mama im Rücken konnte ich nicht weinen. Ich hatte nur ein Gefühl, als sei mir die Brust zugeschnürt.
     
    Auf dem ersten Teil der Strecke ließ mich noch das Ächzen des Sarges bei jeder Unebenheit der Landstraße erschrecken. Am liebsten hätte ich den Kutscher am Ärmel gezupft und ihm gesagt: »Kannst du nicht etwas vorsichtiger fahren, Mama liegt doch hinten drin.« Nach eineinhalb Stunden Fahrt aber war es mir fast gleichgültig, was sich um mich herum abspielte, der Sarg war weit weg. Zeitweise vergaß ich sogar, an die tote Mama zu denken.
    Ich war müde und hatte nur noch den Wunsch, mich davonzustehlen und mich irgendwo hinzulegen, zu schlafen und zu vergessen.
    Das häßliche zerbombte Offenbach, dessen schmutziggraue Häuserfassaden im Regen noch trostloser wirkten, empfing uns in der gleichen Grundstimmung, in der ich mich befand. Trauer lag über der Stadt. Aber nicht schwarz war die Farbe der Trauer wie unser in der Nässe etwas zu provozierend glänzender Leichenwagen, sondern grau, staubgrau; so war auch die Farbe des Himmels und des Mains und der wenigen Menschen, denen wir begegneten. Eine alte Frau blieb auf dem Bürgersteig stehen und bekreuzigte sich schnell. Das tat sie wohl immer beim Anblick eines Leichenwagens, so wie wir Buben einst beim Anblick eines Schimmels schnell die Daumenkuppe der linken Hand mit Spucke naß machten und sie fest in der rechten Handfläche drehten, das brachte Glück, oder beim Anblick eines berittenen Polizisten furzten, und wenn's auch nur ein winzig kleines Fürzchen war, damit hatten wir vorgesorgt, daß uns an diesem Tag nichts mehr passieren konnte.
    Wir kamen ohne Störung durch die Stadt und mußten über die Fechenheimer Brücke auf die andere Mainseite. Genau auf der Brücke gab es Fliegeralarm. Wir hatten trotzdem noch einige Minuten Zeit, denn es war erst Voralarm.
    »Sollen wir zurück?« fragte der verängstigte Schreiner. »Nein, vorwärts«, sagte ich, »zum Fechenheimer Bunker ist es nicht weiter als zurück nach Offenbach.« Da schlug er den Pferden mit der Peitsche links und rechts in die Flanken, schrie »Hüh«, und die bereits müden Pferde setzten sich widerwillig in einen gemächlichen Trab. Der Sarg rumpelte etwas stärker, und Mama kam mir wieder in Erinnerung, die arme Mama, deren letzter Ausflug in dieser Trostlosigkeit enden sollte.
    Als wir den Luftschutzbunker erreichten, war schon wieder Entwarnung. Trotzdem hielten wir an, und der Schreiner gab den Pferden zu trinken. Dann ging es weiter. Wenig später kamen wir zu einer wichtigen Straßenkreuzung an der östlichen Ausfallstraße Frankfurts. Ich hatte gehofft, diesen Punkt, an dem immer Kontrollen waren, umfahren zu können. Aber die Seitenstraße war durch Bombentrichter und mehrere zerstörte Häuser unbefahrbar.
    Es gab nunmehr keinen anderen Weg als den über die Mainkur, so hieß diese Stelle. Ich hatte starkes Herzklopfen und war gleichzeitig gespannt, was passieren würde, denn schon von weitem hatte ich die Feldgendarmen mit den roten Kellen entdeckt, die alle Fahrzeuge kontrollierten. Dem mürrischen Schreiner hatte ich weder etwas von den fehlenden Überführungspapieren noch von meinen Sorgen wegen der kontrollierenden Soldaten gesagt. Wir reichten ihnen unsere Pässe und den vom Arzt ausgestellten Totenschein. Meinen Staatenlosenpaß, das war ich mittlerweile schon gewöhnt, begutachteten die beiden Soldaten lange, einer blätterte die Seiten durch, schaute sich das Lichtbild an, dann mich, und gab ihn mir mit einem nicht ganz zufriedenen Gesicht zurück. Der Schreiner mußte absteigen und den Leichenwagen öffnen, damit sich die Soldaten überzeugen konnten, daß wir weder Schwarzmarktware noch einen lebendigen Menschen in die Stadt schmuggeln wollten. An dem Leichentransport selbst hatten sie nichts zu beanstanden, entweder kannten sie die Bestimmungen nicht oder betrachteten den Totenschein als Überführungspapier. Einer fragte nur noch, während er das Blatt zusammenfaltete und mir zurückgab, mit Anteilnahme, ob das meine Mutter sei und auf welchen Friedhof wir wollten, und er war zufrieden, als ich ihm den Hauptfriedhof nannte, es war der nächstgelegene, und wir konnten weiterfahren.
    Nun waren wir im Stadtgebiet,

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