Kaiserhof Strasse 12
ich ihm noch gesagt, daß er sich die ewige Seligkeit erwerben werde, wenn alles noch klappte.
Es lohnt fast nicht mehr, das, was sich im Büro der Friedhofsverwaltung abspielte, niederzuschreiben, so reibungslos verlief alles. Der zuständige Beamte machte mir, wie nicht anders zu erwarten, ebenfalls Vorhaltungen, daß nicht jeder mitten im Krieg auf eigene Faust seine Toten durch die Gegend karren und dorthin bringen könne, wo es ihm gerade beliebe, schließlich gebe es klare Anweisungen, wie man sich in einem solchen Fall zu verhalten habe. Meine Handlungsweise sei zu tadeln.
Aus seinem Tonfall war aber herauszuhören, daß er mir das rein formell zu sagen hatte, von Amts wegen. Er schickte die beiden Friedhofswärter weg mit dem Versprechen, die Angelegenheit in Ordnung zu bringen, ließ mich Platz nehmen und fragte, was nun geschehen solle.
An den weiteren Verlauf des Gesprächs kann ich mich nicht mehr erinnern, jedenfalls erhielt ich die Genehmigung zur Bestattung auf dem Hauptfriedhof und sogar - trotz Überlastung des Krematoriums - kurzfristig noch eine Feuerbestattung, wie ich es wünschte, und ein Urnengrab.
Dem Beamten, der von vornherein Bereitschaft zeigte, mir zu helfen, war die Entscheidung dadurch erleichtert worden, daß unsere Familie sich bei der Evakuierung nach Jügesheim nicht offiziell in Frankfurt abgemeldet hatte. Das bestätigte ihm das Einwohnermeldeamt telefonisch.
Dieses Verhalten eines Beamten während der Hitlerzeit muß dennoch als außergewöhnlich bezeichnet werden. Im Normalfall, wenn dann auch der Sarg mit dem Leichnam schließlich in Frankfurt geblieben wäre, hätte der Beamte mich mehrere Tage lang auf allen möglichen Ämtern zur Beschaffung der fehlenden Unterlagen herumjagen und mir am Ende noch zu einer hohen Geldstrafe verhelfen müssen.
In der Zwischenzeit handelte der Dorfschreiner und Leichenbestatter Franz Winter endlich einmal richtig. Als wir im Verwaltungsgebäude verschwunden waren, hatte er kurzerhand seinen Rappen die Peitsche gegeben und ohne Behinderung das Friedhofsgelände durchs offene Hauptportal verlassen. Bis zur Mainkur, so berichtete er mir einige Tage danach, habe er die Pferde zur Eile angetrieben, dann aber sei er sicher gewesen, daß ihn niemand mehr zurückholen oder ihm den Sarg nachtragen werde, und er habe sich dann Zeit genommen. Gleich hinter Offenbach habe er sich nach der Aufregung des Tages einen Schoppen genehmigt und noch einen zweiten. Und offenbar ist es doch sehr spät geworden, bis er zu Hause in Jügesheim die Pferde wieder ausspannen konnte.
Der Herzfehler
Im Frühsommer 1944 erhielten Alex und ich die Aufforderung zur Musterung, Alex eine Woche nach mir. »Goebbels-Aufgebot« nannte man diese große Musterungsaktion, mit der unter anderem alle in Deutschland lebenden Ausländer, sofern sie nicht in Internierungslagern festsaßen, für die Wehrmacht erfaßt wurden.
Ich besprach mich mit Alex, ob es irgendeine Möglichkeit gäbe, uns der Musterung zu entziehen, denn, so überlegten wir, einem Musterungsarzt, der täglich Dutzende junger Männer auf ihre Kriegsdiensttauglichkeit prüfte und sie auf Geschlechtskrankheiten untersuchte, mußte ein rituell beschnittener Penis auffallen.
Was also konnten wir tun? Einfach nicht hingehen? Dann würden sie uns holen kommen. Sollten wir untertauchen? Aber wo? Selbst wenn wir verschwunden wären, hätten wir damit die Aufmerksamkeit der Behörden auf unsere Familie gelenkt. Das würde zwangsläufig ihren Untergang bedeuten. So konnten wir nichts anderes tun, als zur Musterung zu gehen. Uns blieb keine andere Wahl.
Ich hatte Angst wie selten zuvor, und in den Nächten vor der Musterung fürchterliche Alpträume. Schreiend wachte ich auf, weil vier Männer, möglicherweise waren es Militärärzte, mich an Armen und Beinen gepackt hielten und mich auseinanderreißen wollten, und ich wagte nicht mehr einzuschlafen aus Furcht, sie könnten die Tortur fortsetzen.
Mama war sehr gefaßt, als ich mich am Tag der Musterung von ihr verabschiedete. Sie sagte nur: »Komm gesund wieder, Walja!« Papa begleitete mich zur Tür und küßte mich links und rechts und auf den Mund. Ich spüre noch deutlich seinen stacheligen Bart in meinem Gesicht. Seine Stimme zitterte, als er flüsterte: »Mein guter Waljitschka«, und Tränen rannen ihm in den grauen Bart. Mit beiden Händen hielt er meinen Kopf, schaute mich an, als wolle er noch irgend etwas sagen, und ließ mich los, indem er die
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