Kaiserhof Strasse 12
Leichenwagen einfuhren. Dieses Tor, so hatte ich beobachtet, war tagsüber nicht verschlossen, und die Fahrzeuge wurden bei der Einfahrt nicht kontrolliert. Die Überprüfung der amtlichen Papiere geschah sicherlich erst an der Rampe der dahinterliegenden Leichenhalle, wo die Särge abgestellt wurden.
Darauf baute sich mein Plan auf. Ich wollte an der Rampe der Leichenhalle vorfahren, mit dem Schreiner zusammen den Sarg abstellen und die Arbeiter des Bestattungsamtes, sollten sie nach den Papieren fragen, so lange hinhalten, bis Franz Winter mit seinem Leichenwagen wieder abgefahren war. Er hatte von mir die Anweisung, unverzüglich das Friedhofsgelände zu verlassen, sowie der Sarg abgeladen sei. Was konnte die Friedhofsverwaltung anders tun als den Leichnam behalten? Ich war ganz sicher, daß man mir den Sarg nicht auf die Straße stellen, sondern nach dem zu erwartenden Gezeter notgedrungen abnehmen mußte, das heißt, ich würde auch eine Grabstelle bekommen. Im ungünstigsten Fall rechnete ich mit einer Geldstrafe.
Wir fuhren also durch das Tor und schnurstracks zur Leichenhalle. Schnell sprangen wir vom Bock, holten den Sarg heraus, ich entschuldigte mich bei Mama für die Hektik, in der ich mich von ihr trennen wollte oder auch mußte, und ein Friedhofswärter, der in einem grünlichgrauen Arbeitskittel am Eingang zum Leichenschauhaus stand, half uns, den Sarg auf einen Rollbock zu heben.
Der Friedhofswärter verlangte die Totenpapiere zu sehen. Ich kramte umständlich den vom Arzt ausgestellten Totenschein heraus und hielt ihn dem Mann entgegen. Der fragte, immer noch freundlich, nach den anderen Papieren. Ich zögerte ein wenig. Er wiederholte, nun bereits ungeduldig, er wolle die weiteren Papiere sehen, und da gab ich wahrheitsgemäß zur Antwort, daß ich keine anderen Papiere besäße, nicht mal eine Sterbeurkunde.
Mittlerweile war der Sargschreiner wieder auf seinen Kutschbock gestiegen und wollte davonfahren. Im gleichen Moment schien der Beamte meinen Trick durchschaut zu haben. Er wechselte die Stimme, drehte sich auf dem Absatz herum und herrschte den Schreiner an, er habe hier zu bleiben, bis die Angelegenheit mit den Papieren geklärt sei.
Franz Winter war natürlich viel zu langsam gewesen, er hätte schon längst wegfahren sollen. Nun aber saß er fest. Diese Situation hatte ich nicht bedacht.
Der Friedhofswärter wandte sich jetzt wieder, sehr erregt und mit lauter Stimme, zu mir. Es sei ihm strengstens untersagt, Tote ohne ordnungsgemäße Papiere und vorheriger Anmeldung beim Bestattungsamt anzunehmen. Wir müßten den Sarg wieder aufladen. Natürlich verstand ich ihn, er konnte gar nicht anders. Trotzdem erwiderte ich, das komme überhaupt nicht in Frage, wir seien alte Frankfurter und hätten ein Recht darauf, die Tote auf einem Frankfurter Friedhof zu beerdigen. Ich log ihm vor, man habe mich vom Bestattungsamt telefonisch beschieden, die Leiche auch ohne Überführungspapiere hierher zu bringen, und mir zugesagt, eine Beerdigung auf dem Hauptfriedhof schon irgendwie zu ermöglichen.
Der Friedhofswärter ließ sich auf nichts ein. Die Leute von der Verwaltung müßten sich genauso nach den Vorschriften richten wie er, und damit basta. Er wurde immer erregter und wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Gewiß war ihm ein solcher Fall noch nicht vorgekommen. Theoretisch durfte es keinesfalls so sein, aber praktisch stand dort auf dem Rollbock der dunkelbraune Holzsarg mit der toten Mama. Er war, trotz Verbots, ein Faktum. Der Friedhofsangestellte schaute noch einmal, völlig überflüssigerweise, auf den Totenschein und meinte dann, unter keinen Umständen werde er die Tote annehmen, wer sie auch sei, wenn nicht die Genehmigung der Verwaltung vorliege. Das sah ich ein, und ich war damit einverstanden, zur Klärung der Angelegenheit mit ihm ins gegenüberliegende Verwaltungsgebäude zu gehen. So gewann ich eine kleine Spanne Zeit.
Ich blickte nach dem Schreiner auf dem Kutschbock, in welcher Verfassung er sich wohl befinde - und war überrascht. Er blinzelte mir mit einem pfiffigen Gesichtsausdruck zu, als wolle er mir zu verstehen geben, daß es an ihm nicht liegen solle, unsere Aktion doch noch erfolgreich abzuschließen, er werde sich schon zu helfen wissen. So aufgekratzt, ja geradezu fröhlich war er den ganzen Vormittag nicht gewesen. Ich verstand Franz Winter nicht mehr und war bereit, ihm die mürrischen Stunden zwischen Jügesheim und Offenbach zu vergeben. Gerne hätte
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