Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
verwirrt. Sein Auftrag war vage. Er musste mit jemandem sprechen, den es offiziell nicht gab, der kein Amt innehatte, über eine Sache, für die es keinen Präzedenzfall gab, mit einer Bitte, die genauso abstrakt wie konkret, genauso gefährlich wie attraktiv war, eine Gemengelage, mit der er kaum zurechtkam. Warum hatte er also zugesagt? Godegisel wusste es nicht genau. Er hätte ebenso gut einfach verschwinden können, doch er fühlte, dass all das, was er nun tat, Bedeutung hatte. Auch, wenn er sich über diese nicht völlig im Klaren war.
Vor dem Haus, das zwar sicher das größte des Dorfes, aber für sich selbst alles andere als beeindruckend war, lungerten zwei junge Männer herum, spielten mit Steinen, warfen ihm nur einen kurzen, wie beiläufigen Blick zu. Godegisel ließ sich nicht täuschen. Dies waren keine Nichtsnutze, die sich die Zeit vertrieben, es waren Männer aus Engus’ Gefolge, die eingreifen würden, wenn ihr Herr in Gefahr war oder die Türwache sie rufen würde. Die beiden langen Dolche, die sie trugen, waren unter weiten Jacken verborgen, und sie sahen heruntergekommen genug aus, um vom gelegentlichen Besucher unterschätzt zu werden.
Godegisel lächelte. Nicht dumm.
Er band sein Pferd an einen Pfosten. Dann klopfte er an die schwere Holztür. Sie öffnete sich sofort einen Spaltbreit. Natürlich war seine Ankunft beobachtet worden.
»Ja?«
»Ich wünsche Engus zu sprechen. Mein Name ist Godegisel.«
»Der Godegisel?«
Der Gote hob die Augenbrauen. Er vermutete, dass er mit dieser Nachfrage tatsächlich gemeint war. Er holte das Siegel des Fritigern aus der Tasche, das er als persönlicher Emissär des Richters vor geraumer Zeit erhalten und nie zurückgegeben hatte. Jetzt half es ihm, sich vor seinesgleichen zu legitimieren.
»Hier.«
Die Tür öffnete sich etwas weiter und ein vierschrötiger Wachmann trat heraus, das Langschwert griffbereit an seiner Seite.
»Tritt ein. Gib mir dein Schwert.«
Gehorsam legte Godegisel die Waffe ab. Der Wachmann grunzte zustimmend und machte den Weg frei.
Der Wohnraum, der sich unmittelbar an die Tür anschloss, war ordentlich eingerichtet, jedoch letztlich einfach. Der kostbarste Einrichtungsgegenstand war der kleine Hausaltar, den Engus neben dem Kamin errichtet hatte.
Engus selbst war nicht halb so imposant wie sein Wachmann. Als er sich von einem Schemel erhob, um den Besucher zu begrüßen, reichte er Godegisel etwa bis zur Nase. Dafür schien er breiter zu sein, ohne fett zu wirken. Er bewegte sich mit jugendlicher Kraft, dabei aber bedächtig, als würde er jede Geste sorgfältig abwägen, bevor er sie ausführte. Godegisel hatte von Engus gehört, war ihm aber nie im persönlichen Gespräch begegnet. Er wusste, dass dieser keine fünf Jahre älter war als er selbst.
»Godegisel, ja? Wir haben lange nichts mehr von dir gehört.«
»Ich war lange unterwegs.«
»Davon musst du mir erzählen. Fritigern schickt dich?«
Engus wies Godegisel einen Schemel zu.
»Du bist hungrig.«
»Eher durstig, danke.«
Engus winkte einer jungen Frau, die abwartend in der Ecke stand. Sie brachte römischen Wein. Godegisel trank, dann stellte er den Becher ab und wandte sich an seinen Gastgeber.
»Fritigern schickt mich nicht. Er weiß gar nicht, dass ich hier bin.«
Engus nickte nur. »Sprich.«
Godegisel nestelte ein Dokument aus seiner Tasche. Dass Engus lesen und schreiben konnte, erwies sich als großer Vorteil. Das Schreiben, gesiegelt vom Heermeister des Römischen Reiches, war gleich umso beeindruckender, wenn man es auch lesen konnte.
Engus nahm es zur Hand und las konzentriert. Es legitimierte Godegisel als Emissär von Rheinberg, als sein Sprachrohr, als einen Mann mit imperialer Autorität, was auch immer das in diesen Zeiten bedeuten mochte.
Engus ließ das Schreiben sinken. In seinen Augen waren Respekt und Verwunderung zu lesen.
»Du hast es weit gebracht, Godegisel.«
»Es ist weniger mein Zutun. Gott hat mich auf diesen Weg geführt.«
»Auch auf den Weg in mein Haus?«
»Das will ich annehmen. Ich fühle mich jedenfalls derzeit nicht so, als würde ich vieles frei entscheiden, was mein Leben anbetrifft.«
Engus grinste. »Das Gefühl kenne ich – seit ich geheiratet habe.«
Godegisel grinste zurück. »Ich habe gehört, dass du trotzdem ein Mann von Einfluss bist, Engus.«
»Das habe ich auch gehört. Die Leute reden viel.«
»Der Heermeister trug mir auf, jemanden wie dich zu finden.«
»Er kennt meinen
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