Kaiserkrieger: Der Aufbruch
habe verstanden, dass ich mich nur auf wenige Dinge verlassen kann. Auf meine Waffenbrüder, auf meine engere Familie, ja. Aber welches Amt ist so beschaffen, dass man sein Leben darauf bauen könnte? Ich meine, edler Valens, schaut Euch selbst an. Vor wenigen Monaten noch ein Kaiser, jetzt ein Flüchtling im eigenen Land!«
Valens nickte nachdenklich.
»Das ist alles nicht falsch, mein Freund«, meinte er dann mit gesenkter Stimme. »Und doch, welche Alternative bleibt dem Mann, der in dieses Leben gestoßen wurde? Soll er sich herumwirbeln lassen von den Geschicken oder soll er versuchen, selbst die Dinge in die Hand zu nehmen? Wenn mir Amt und Titel angeboten werden, habe ich eine Chance, daraus etwas für mich zu machen. Hat der Herr anderes mit mir im Sinn, so soll es so sein. Doch mich in eine Ecke zu verkriechen und zu versuchen, mich alledem zu entziehen … hast du von den Eremiten gehört? Priester, die sich in die Wüste zurückziehen, in Höhlen oder sonst wo in der Wildnis? Sie hoffen wohl auf das, wonach es dich dürstet: Frieden .«
Erneut überlegte Godegisel einen Moment, um sich die richtige Antwort zurechtzulegen.
»Ich glaube nicht, Valens, dass Ihr mich verstanden habt«, sagte er schließlich ohne Vorwurf in der Stimme. »Es geht mir nicht darum, mich Aufgaben zu entziehen, die auf meine Schultern gelegt werden. Es geht letztlich darum, Entscheidungen zu treffen, wo ich die Möglichkeit dazu habe. Wenn die Umstände es erfordern, will ich alles tun, was notwendig ist. Wenn es aber eine Alternative gibt, so ziehe ich es vor, in das zweite Glied zu treten und mir etwas mehr Ruhe zu gönnen .«
Valens lächelte wissend.
»Damit ist alles gesagt«, erwiderte er. »Denn was die Umstände erfordern, das legt doch letztlich jeder alleine für sich fest. So warten wir also ab, bis der Tag gekommen ist, an dem man dir Ämter und Würden anbietet, und ob du dann die Umstände so oder so definierst. Spätestens, wenn deine Ehrengarde aufmarschiert und der Kaiser dir die Ernennungsurkunde in die Hand drückt, wirst du dir überlegen, dass die Umstände so entsetzlich gar nicht sein können .«
Er machte eine Pause und sagte dann:
»Du solltest jetzt gehen. Nimm die Kleidung. Wenn Belucius jemanden aus Malobaudes’ Gefolge mitbringt, will ich, dass du nicht zugegen bist. Bleib draußen, verberge dich im Stall oder in der Nähe eines Nebengebäudes. Du hast mit der großen Politik nichts zu tun und ich spüre, dass sie dir zuwider ist. Ich will dich nicht weiter in all dies hineinziehen. Wenn du nicht auf eine Belohnung aus bist, ist es an der Zeit für dich, mich mit alledem alleine zu lassen. Ich betreibe dieses Geschäft seit meiner Jugend. Aber du kannst noch einen anderen Weg einschlagen .«
Godegisel kam nicht umhin, aufzulachen. Valens war in der Tat ein anderer Mensch geworden. Anstatt dem Goten Ehrung und Amt aufzudrängen, ja ihm die Verlockungen einer Karriere im Reich möglichst eindringlich vor Augen zu führen, hatte er die Ansichten des jungen Mannes akzeptiert, sogar respektiert. Und der Vorschlag des Kaisers hatte in der Tat etwas für sich. Der Gote hatte seine Arbeit getan. Es war möglicherweise an der Zeit, sich wieder um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
»Ich werde in der Nähe bleiben«, versprach er schließlich. »Aber sollte ich nicht doch besser…«
Valens hob abwehrend die Hände.
»Du bist Gote. Die Zeitenwanderer kennen dich, wie du mir berichtet hast. Du bist sogar Vertreter des Richters. Willst du dein eigenes Volk in Gefahr bringen? Was wird passieren, wenn man die Goten mit dem Verrat des Maximus in Verbindung bringt, egal, wie ehrenhaft du gehandelt hast? Du riskierst durch deine Fürsorge für mich den Frieden, den dein Volk doch gerade erst errungen hat. Denke auch daran! Nein, es ist besser: Sobald Belucius sich in Begleitung nähert, verschwinde von hier. Immerhin habe ich ja wieder meine Leibgarde dabei .«
Godegisel entgegnete nichts. Das letzte Argument des ehemaligen Kaisers war ihm so noch gar nicht in den Sinn gekommen. Ein Grund mehr, sich nicht tiefer in die Schlangengrube römischer Politik zu begeben.
So saßen sie noch schweigsam nebeneinander, blickten in die Flammen der Feuerstelle, die Wärme für ihre müden Knochen produzierten, und warteten darauf, dass etwas geschah. Beide waren sie erschöpft, doch ebenso trieb beide eine innere Unruhe um. Keiner von ihnen wollte sich schlafen legen. Dennoch forderten ihre Körper ihren Tribut
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