Kaisertag (German Edition)
Jahre zuvor verstorben. Überdies waren die letzten zweieinhalb Jahrzehnte seiner Herrschaft geradezu sprichwörtlich geworden, hatten sie doch das populäre Bild vom Reisekaiser geprägt, der häufiger auf seiner Yacht in exotischen Weltgegenden zu finden war als im Berliner Stadtschloss.
»Selbstverständlich«, antwortete Rommel daher und fragte sich, worauf Bartz hinauswollte.
»Also erinnern sich Herr Feldmarschall sicherlich auch daran, dass der Kaiser nach 1916 immer seltener in Deutschland weilte, da er es vorzog, ferne Länder zu bereisen. Die Erfüllung der meisten seiner Pflichten wie auch die Ausübung zahlreicher seiner Befugnisse überließ er in zunehmendem Maße Personen seines Vertrauens. Im Laufe der Zeit bildete sich so ein kleiner, aber äußerst mächtiger Zirkel von Männern, deren Wirken dem Blick der Allgemeinheit verborgen blieb und die schließlich sogar in der Lage waren, ihre Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Vorgänge im Reich weit über die vom Kaiser delegierten Aufgaben hinaus auszudehnen. Ein Kreis, der heute kaum hundert Personen zählt, welche aber Schlüsselpositionen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft innehaben. Sie erhalten von allem Kenntnis und können den Kurs unseres Vaterlandes im rechten Sinne bestimmen. Und wir haben feste Vorstellungen davon, wie Deutschland, ja die gesamte Welt idealerweise sein sollte. Es ist unsere Überzeugung, dass diese Welt um das Jahr 1914 herum den Zustand der Vollendung, der wünschenswerten Perfektion erreicht hatte. Daher ist es unser oberstes Bestreben, die Verhältnisse jener Jahre so weitgehend wie nur denkbar aufrechtzuerhalten, in jeglicher Hinsicht.«
Rommel hatte dem Oberst mit unbewegter Miene zugehört, doch nun verfinsterten sich seine Züge. »Oberst Bartz«, unterbrach er warnend, »ich habe anstrengende Tage hinter mir. Mir fehlt im Augenblick das Verständnis für so unangemessene Scherze.«
»Bitte um Verzeihung, Herr Feldmarschall. Aber es handelt sich durchaus nicht um einen Scherz. Es ist, wie ich sage: Deutschlands Geschick wird von den Puppenspielern bestimmt. Wir tragen Sorge dafür, dass sich möglichst wenig ändert. Denn wir wissen, wie Deutschland – und nicht nur Deutschland – aussehen muss. Durch ein feinmaschiges Netz der Beobachtung und Beeinflussung ersticken wir nichtdienliche Tendenzen in Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und natürlich Politik schon im Keim. Ja, unser Arm reicht noch weiter. Wir haben erkannt, dass kaum etwas mehr dazu angetan ist, die Welt zu wandeln, als technische Innovationen. Wir verhindern auf diesem Gebiet Entwicklungen, welche die gegenwärtigen Verhältnisse zum Schlechteren verändern könnten. Doch wie können wir zugleich den gefährlichen ungehemmten Fortschritt im eigenen Land bremsen und in kontrollierte, sichere Bahnen leiten, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass andere Staaten das Reich überholen und seiner Stellung als Großmacht berauben?«
Bartz machte eine Pause, um die dramatische Wirkung dieser Frage zu steigern; dann präsentierte er die Antwort: »Indem wir alle anderen Nationen ebenfalls in unser System der umfassenden Wahrung des Status quo einbeziehen, ohne dass sie sich dessen bewusst werden. Nicht umsonst zählen maßgebliche Personen im Wirtschaftsleben des Reiches zu unserem Kreis. Dank ihrer ist es uns möglich, über Strohmänner in sämtlichen Kulturstaaten jedes Patent aufzukaufen, das uns bedrohlich erscheint. Das verbürgt uns nicht nur, dass kein fremdes Land zum Ausgangspunkt technischer Neuerungen wird, die unseren Absichten zuwiderlaufen. Nein, ein höchst erfreulicher Nebeneffekt ist auch, dass Deutschland eine unanfechtbare technische und industrielle Führungsposition einnimmt. Ist es nicht phantastisch, Herr Feldmarschall? Wie echte Puppenspieler ziehen wir die Fäden, bestimmen die Handlung, unsichtbar für die Zuschauer. Alleine der Gedanke ist erhebend … kaum hundert Männer, denen es gelungen ist, auf dem ganzen Globus die Zeit zum Stillstand zu bringen. Nichts verändert sich, wenn wir es nicht zulassen. Alles wird bleiben, wie es ist … für immer. Wir schenken Deutschland und der ganzen Menschheit ein ewiges Goldenes Zeitalter …«
Die Begeisterung, die seine eigenen Äußerungen bei ihm hervorriefen, war Bartz überdeutlich anzusehen. Er hatte sich in einen schwärmerischen Enthusiasmus hineingesteigert, der seine Augen leuchten ließ. Nun hielt er inne und wartete auf Rommels Reaktion.
Dem Marschall fehlten die
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