Kaisertag (German Edition)
Worte. War dem Oberst die glühende Sommerhitze nicht bekommen und hatte er daher absurde Wahnvorstellungen entwickelt? Es musste wohl so sein. Aber falls all das doch nicht nur die fiebrige Ausgeburt eines durch einen Sonnenstich vernebelten Hirns war? Was, wenn in Bartz’ Schilderung auch nur ein Funken Wahrheit steckte? Ein mahlendes Gefühl der Verunsicherung begann, sich in Rommel bemerkbar zu machen. Er musste es wissen!
Schnell setzte der Feldmarschall eine faszinierte Miene auf und hoffte, dass diese Maske überzeugend wirkte. »Erstaunlich«, sagte er, »höchst erstaunlich. Und dazu überaus bewundernswert. Ich möchte mehr darüber erfahren, Oberst. Die Minister sind also allesamt Angehörige ihrer … Gruppe?«
»Nicht ganz, wenn Herr Feldmarschall die Korrektur gestatten. Minister kommen und gehen. Wie schnell muss einer von ihnen einer Kleinigkeit wegen seinen Schreibtisch räumen. Nein, unsere Leute sitzen an den weniger exponierten Stellen, an denen sich die wahre Macht bündelt. Dabei kommt uns zugute, dass den Deutschen vom ersten Tag ihres Lebens an Gehorsam als oberste Tugend beigebracht wird. Hundert Personen an den richtigen Orten können Tausenden Anweisungen geben, die ihrerseits Millionen lenken, ohne dass auch nur einer auf die Idee käme, nach dem Wieso und Warum zu fragen. Der Kaiser ernennt ohnedies ausschließlich Minister, die uns genehm sind, denn seine Berater und Vertrauten, seine ganze engere Umgebung besteht aus Puppenspielern. Er ist ständig unserem Einfluss ausgesetzt und ahnt doch nichts von unserer Existenz. Das Gleiche gilt für den Kronprinzen. Seit seiner Geburt sorgen wir dafür, dass er eines Tages ein Kaiser Wilhelm IV. sein wird, der so denkt und handelt, wie es unseren Vorstellungen entspricht. Seine Erzieher, seine Lehrer – sie alle gehören zu uns und tragen dazu bei, ihn zu formen. Dasselbe wird eines Tages mit seinem ältesten Sohn geschehen. Wir überlassen nichts dem Zufall.«
Mit jedem neuen Wort, das Bartz aus dem Munde quoll, fühlte Rommel sich unwohler. Ihm war, als würde er unaufhaltsam Stück für Stück in einen Albtraum hineingleiten. Bei aller scheinbaren Waghalsigkeit, die der Feldmarschall bei seinen militärischen Operationen an den Tag legte, liebte er in Wirklichkeit Planung und Ordnung. Jeder seiner Schritte war wohlkalkuliert und basierte auf der Einschätzung von Fakten, Ursachen und Wirkungen. Er hatte die Kontrolle über das Geschehen, weil er Strukturen und Gesetzmäßigkeiten durchschauen und verstehen konnte. Doch jetzt wurde er mit der Erkenntnis konfrontiert, dass ein System, das er zu verstehen geglaubt hatte, in Wahrheit nur eine Kulisse war, hinter der ganz andere, ihm bislang unbekannte Kräfte wirkten. Diese Vorstellung schockierte ihn.
»Selbstverständlich dürfen wir uns nie mit dem bislang Erreichten zufriedengeben«, sprach Bartz weiter. »Wenn wir die Zügel schleifen lassen, könnten Dinge in Gang geraten, die im Nachhinein nur schwer wieder einzudämmen sind. Wir sorgen auch dafür, dass unwandelbare Größen die Wahrnehmung der breiten Masse bestimmen. So etwa die Gewissheit, dass der Franzose unser hinterhältiger Erbfeind ist, England eiskalt und perfide, die Russen unberechenbare Barbaren. Und wenn trotz dieser Welt voller Feinde von Zeit zu Zeit die Begeisterung für unser Militär, auf dem ja unsere Gesellschaft basiert, zu schwinden droht, wenn ganz allgemein kritische Stimmen im Lande vernehmbar werden oder sonstige störende Tendenzen einsetzen, rücken wir mit einem passend arrangierten Waffengang das Weltbild der Menschen wieder zurecht.«
»Sie … lösen Kriege aus?«, fragte Rommel irritiert.
»Jawohl, Herr Feldmarschall. Nichts zementiert eine Gesellschaftsordnung verlässlicher als ein Krieg mit abschließendem Triumph. Dieses Mittel war allerdings erst äußerst selten vonnöten. Wir ermutigten durch Agents Provocateurs die Stammesfürsten der Negerstämme in Kamerun und Ostafrika, sich gegen die deutsche Herrschaft zu erheben. Natürlich waren diese Aufstände aussichtslos, doch ihre Wirkung auf die patriotische Gesinnung im Reich war kolossal. Aber das alles war unbedeutend im Vergleich mit diesem Krieg, der jetzt dem Ende entgegengeht und der seinen Zweck auf das Vortrefflichste erfüllt hat.«
Rommel konnte nicht fassen, was er hörte. »Sie wollen damit sagen, auch dieser Krieg geht auf das Konto der … der Puppenspieler?«, fragte er tonlos. Er konnte die Maske zustimmenden Interesses kaum
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