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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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machen, sie anzuzünden. Alexandra schwieg und wartete. Sie spürte, dass es Franziska Diebnitz nicht leichtgefallen war, über diesen Teil ihres Lebens zu sprechen; und doch wirkte die Frau erleichtert, als hätte sie sich dadurch einer Last entledigt.
    »Ich weiß nicht, wieso ich Ihnen das alles erzähle«, fuhr sie endlich fort und legte die Zigarette auf den Tisch. »Vielleicht, weil Sie der erste Mensch sind, der diese Fragen gestellt hat, statt sich einfach nur eine schnelle, bequeme Meinung über mich zu bilden. Oder weil Sie wie ich irgendwie nicht in diese Welt passen … verzeihen Sie, das war schlecht ausgedrückt.«
    »Nein, ganz und gar nicht«, versicherte Alexandra.
    Franziska Diebnitz strich eine verirrte schwarze Haarsträhne fort, die ihrem Auge zu nahe gekommen war, und meinte dann: »Als ich Herrn Prieß den Auftrag gab, den Tod meines Mannes zu untersuchen, habe ich nicht damit gerechnet, dass ich ihn damit derartiger Gefahr aussetze … ich kann unter diesen Umständen unmöglich von ihm verlangen, die Ermittlungen fortzuführen.« Sie ging hinüber zu der stählernen Regalwand und rückte einige Bände eines Lexikons beiseite, hinter denen sich ein kleiner Tresor verbarg. Mit einigen Drehungen am Zahlenschloss öffnete sie ihn und entnahm ihm einige Bündel Geldscheine, noch umschlossen von der Banderole der Reichsbank.
    »Dies hier sind die neuntausend Mark, die Herr Prieß als Erfolgshonorar erhalten sollte«, erklärte sie und setzte sich wieder zu Alexandra auf das Sofa. »Ich möchte Sie bitten, ihm das Geld zu übergeben und ihn wissen zu lassen, dass ich unseren Vertrag als erfüllt betrachte. Ich wünsche mir zwar mehr denn je, dass die Verbrecher, die Gustav in den Tod getrieben haben, bestraft werden; aber wenn Herr Prieß durch meinen Auftrag um sein Leben fürchten muss, dann geht das zu weit. Hinzu kommt, dass diese Gefahren doch sicher auch Sie bedrohen, nachdem Sie Herrn Prieß aus Freundschaft und persönlichem Interesse an der Angelegenheit unterstützt haben. Ich möchte nicht, dass zwei Menschen meinetwegen zu Schaden kommen, womöglich sogar sterben könnten. Lieber verzichte ich auf die Genugtuung, die Mörder meines Mannes vor dem Richter zu sehen.«
    Alexandra sah auf die Banknoten in Franziska Diebnitz’ Händen; es war mehr, als die bis zur Peinlichkeit sparsame Freie und Hansestadt Lübeck ihrer Polizeipräsidentin in einem halben Jahr zahlte.
    »Das ist sehr großzügig«, sagte sie, »aber es geht nicht. Die Sache ist längst mehr als der perfide Mord, mit dem für uns alles angefangen hat. Wir können uns nicht zurückziehen, es hängt zu viel davon ab. Und Fritz – ich wollte sagen, Friedrich Prieß würde ganz gewiss nicht wollen, dass ich dieses Geld für ihn annehme, ohne dass er seine Aufgabe abgeschlossen hat.«
    »Ich verstehe.« Franziska Diebnitz machte eine kurze Pause und betrachtete die Geldscheinbündel. Dann meinte sie: »Ich werde es wieder zurücklegen und aufbewahren … bis ich es Herrn Prieß geben kann.«
    Hoffen wir, dass dieser Tag kommt , dachte Alexandra.
    * * *
     
    Entnervt warf Friedrich den zerkauten Bleistift auf den Tisch. Was machte er nur verkehrt? Oberst von Rabenacker hatte ihm den Code doch erklärt, und das Prinzip war so einfach, dass er es unmöglich falsch verstanden haben konnte. Die erste Zahl des verschlüsselten Schreibens sollte angeben, mit welcher Seite des Buches Diebnitz seinen Brief codiert hatte, und die nachfolgenden Zweiergruppen bezeichneten jeweils, in welcher Zeile der wievielte Buchstabe verwendet worden war. Selbst der beste Kryptograph hätte einen auf diese simple Weise chiffrierten Text nicht entschlüsseln können, da dem Code kein berechenbares System zugrunde lag. Wenn man aber das richtige Buch besaß, konnte man mit bloßem Abzählen und ein wenig Geduld die Botschaft Stück um Stück zusammensetzen. Das war zumindest die Theorie.
    In der Praxis jedoch quälte sich Prieß schon seit Stunden mit den Zahlenkolonnen herum. Inzwischen kannte er Seite 561 der Buddenbrooks auswendig, und die eng gedruckten Sätze begannen vor seinen Augen zu tanzen und zu verschwimmen. Jeder Anlauf, Diebnitz’ Brief sein Geheimnis zu entreißen, hatte zu der gleichen, völlig sinnlosen Buchstabenreihe geführt.
    Prieß fuhr sich ratlos durch die Haare und starrte auf den Schreibblock vor sich. Von dem linierten Papier grinste ihm höhnisch die nichtssagende Zeichenfolge entgegen, die er kurz zuvor niedergeschrieben

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