Kaisertag (German Edition)
hatte. Es war exakt dasselbe, was auch auf den zahllosen zerknüllten Blättern stand, die um ihn herum Schreibtisch und Fußboden bedeckten: INVIKTIWHEG – HFGI …
Verärgert klopfte sich Prieß mit den Knöcheln der geballten Faust gegen die Stirn und überlegte. Hatte der Geheimdienstoberst seinen Brief vorsichtshalber doppelt verschlüsselt? Aber dann hätte Rabenacker davon wissen müssen.
Hat er’s mir vielleicht verschwiegen, damit ich das Schreiben nicht selber dechiffrieren kann? Möglich … aber Sinn ergibt das nicht. Es wäre einfacher gewesen, mir gar nichts zu sagen. Möglicherweise hat Diebnitz sich ja auch bei der Seitenzahl verschrieben? Oder hat die Buchhandlung Rabenacker ganz einfach das falsche Buch geliefert? Dann ist er jetzt vermutlich genauso sauer wie ich …
Unwillig musste Prieß einsehen, dass alle seine Bemühungen, den Brief lesbar zu machen, aussichtslos waren. Am liebsten hätte er die Buddenbrooks vor Wut gegen die Wand geschleudert; dazu hatte er jedoch keine Gelegenheit mehr, denn er hörte, wie im Erdgeschoss die Haustür aufgeschlossen wurde. Alexandra war aus Hamburg zurück, und Friedrich überlegte, wie er ihr beibringen sollte, dass sie ein weiteres Mal in einer Sackgasse angelangt waren.
Freitag, 3. Juni
Das honigfarbene Licht der Morgensonne hatte gerade die Dachkante erreicht und kroch nun die kahle Betonwand hinab. Vor dem fensterlosen, hallenartigen Gebäude stand die Fahrzeugkolonne mit laufenden Motoren. Die Spitze des Konvois bildete ein graues Mercedes-Panzerauto mit dem Wappen der Reichsmarine unter dem Drehturm, aus dem drohend ein schweres Krupp-Maschinengewehr herausragte. Ihm folgten drei Militärlastwagen mit offenen Ladeflächen, auf denen jeweils dreißig Matrosen mit entsicherten Karabinern saßen. Auf dem vierten Laster hingegen verwehrte eine graue Plane den Blick auf die Ladung; allenfalls konnte man erahnen, dass sich unter dem steifen Segeltuch etwas befand, das in seiner Form entfernt an ein überdimensionales liegendes Fass erinnerte. Dahinter kamen drei weitere Wagen mit bewaffneten Matrosen, und am Schluss der Reihe befand sich eine dunkelblaue Dux-Limousine mit dem Stander eines Konteradmirals am Kotflügel.
Einige Soldaten der Sonderbrigade vergewisserten sich noch ein letztes Mal, ob die Abdeckung über der voluminösen Fracht des Wagens in der Mitte der Kolonne auch straff festgezurrt war, während andere mit schussbereiten Maschinenpistolen argwöhnisch jede Bewegung der Marinesoldaten auf den Lastern registrierten.
»Herr Admiral, ich übergebe Ihnen die Atombombe Großer Kurfürst« , sagte Otto von Deuxmoulins. »Darf ich Sie bitten, die Überstellung an die Reichsmarine nun zu quittieren?«
Konteradmiral Petersen nickte. Sein kurz gestutzter, ergrauender blonder Vollbart kaschierte die heruntergezogenen Mundwinkel. Wie so vielen Offizieren war ihm die Sonderbrigade zuwider, diese merkwürdige Truppe, die allen Waffengattungen die besten Soldaten entzog, nur um ihnen dann völlig unsinnige Dinge beizubringen, über denen sie alles vergaßen, was ihnen ihre Unteroffiziere vorher bei wochenlangem Exerzieren mühevoll eingetrichtert hatten. Dass man ausgerechnet diesen Leuten und nicht etwa der Marine den Schutz von Deutschlands wichtigster Forschungseinrichtung übertragen hatte, gefiel ihm nicht im Mindesten. Er war froh, dass die Atombombe nun endlich in angemessene Obhut kam; bei seinen Soldaten war der Große Kurfürst unzweifelhaft in besseren Händen.
»Selbstverständlich, verehrter Herr General«, entgegnete er und ließ sich von einer Ordonnanz in grauer Uniform Klemmbrett und Füllfederhalter reichen. Während er die Durchschläge der Übergabepapiere unterzeichnete, fragte General Deuxmoulins:
»Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Sie keinen zusätzlichen Geleitschutz benötigen? Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen unverzüglich einige Korporalschaften meiner Leute zur Verfügung stellen.«
Doch der Admiral lehnte höflich ab. »Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, aber das ist nicht nötig. Der Transport ist streng geheim; abgesehen von den Verantwortlichen weiß niemand, dass wir heute die Bombe nach Kiel bringen. Seien Sie versichert, in weniger als vier Stunden wird der Große Kurfürst an Bord des Kreuzers Pommern sein und sich bereits auf dem Weg in den Pazifik befinden.« Außerdem wollte Petersen so wenig wie möglich mit der Sonderbrigade zu tun haben, aber das sagte er nicht. Er gab die
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