Kaisertag (German Edition)
Papiere zum Gegenzeichnen an Kapitän Simon, den Kommandeur des Begleitdetachements, weiter und ließ noch einmal den Blick über die zur Abfahrt bereite Kolonne schweifen. Was sollte schon passieren? Selbst wenn Unbefugte von dem Transport Kenntnis erlangt haben sollten, es hätte ihnen nichts genützt. Sich gegen hundertachtzig Mann und ein Panzerauto zu stellen, so lebensmüde wären bei aller Verblendung nicht einmal französische Agenten gewesen. Die Atombombe hätte nicht sicherer sein können, davon war der Admiral überzeugt.
Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, verabschiedeten sich die Offiziere voneinander und Petersen stieg zusammen mit dem Kapitän in die Limousine am Ende des Konvois.
»Endlich!«, atmete der Konteradmiral auf, als General Deuxmoulins ihn nicht mehr hören konnte. »Ein Glück, dass die Bombe nun in den richtigen Händen ist.«
Kapitän Simon konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. »Sie haben keine hohe Meinung von der Sonderbrigade, Herr Admiral?«
»Kapitän, das ist ein Haufen von Spinnern und Cowboys, die aus Zeppelinen springen, sich mit bemalten Gesichtern in Gestrüpp verkriechen und ähnliche Mätzchen veranstalten. Denen würde ich nicht einmal die Skatkasse unserer Offiziersmesse anvertrauen. Fahren wir los, man wartet auf uns.«
Die Landstraße, die von Lübeck aus nordwärts führte, war noch leer; die Militärfahrzeuge kamen gut voran. Auch dieser Tag würde wieder sommerlich heiß werden, schon jetzt schien die Sonne warm vom klaren Himmel und ließ den Frühtau auf Grashalmen und Blättern verdunsten, sodass hauchdünne Nebelschleier aus den Wiesen und Knicks aufstiegen. Die unsichtbar in den Büschen verborgenen Amseln, Spatzen und Meisen verrieten sich durch ihre vielstimmigen lautstarken Gesänge, bei denen sie sich auch vom Motorenlärm der vorüberrollenden Lastwagen nicht stören ließen.
Aber dann verstummten sie doch.
Eine Explosion zerriss die Luft. Das Panzerauto, das die Kolonne anführte, verschwand in einem gleißend aufblitzenden Feuerball, der in hässlich schwarz aufquellenden Qualm überging. Der Fahrer des nachfolgenden Lastwagens konnte nicht mehr bremsen und rammte das brennende Wrack aus grotesk verbogenem Stahl.
Den Matrosen auf den übrigen Wagen blieb keine Zeit, sich von ihrem Schrecken zu erholen. Noch ehe sie überhaupt begreifen konnten, wie ihnen geschah, sprangen hinter den Hecken links und rechts der Straße Dutzende von Männern mit schwarzen Skimasken über den Köpfen und Bren-Maschinenpistolen hervor.
»Frihed for Jytland!«, schrien sie und ließen ihre Waffen aufbrüllen.
* * *
Er hatte auffällig langes Haar, ein hinabgezogenes Kinn, das wohl nur in unregelmäßigen Abständen mit einer Rasierklinge in Berührung kam, und seine Augen blinzelten halb aufmerksam, halb verschlafen hinter einer kleinen runden Brille. In dem schlecht sitzenden dunkelblauen Anzug, den er sich vermutlich für diesen Anlass von jemand anderem geborgt hatte, sah er aus wie ein dreißigjähriger Konfirmand, und er war sich dieser bizarren, komischen Wirkung seines Erscheinungsbildes wohl bewusst. Auch wenn Alexandra es nicht zeigen durfte, sie fand die schlampige Unangepasstheit dieses Mannes, der ihr auf der anderen Seite ihres Schreibtisches gegenübersaß, eigentlich recht erfrischend.
»Wenn ich mir das hier so ansehe«, sagte sie mit einem Blick auf die Unterlagen, die sie vor sich ausgebreitet hatte, »dann muss ich sagen, Herr Feldmann …«
»Meine Freunde nenn’ mich Brösel«, fiel er ihr munter ins Wort, wurde aber schnell wieder still, als er ihren strafenden Blick sah.
»Und ich nenne Sie Herr Feldmann« , beschied ihm Alexandra kühl. »Also, Sie befinden sich in nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten. Die Reichsstaatsanwaltschaft hat einen Haftbefehl gegen Sie erwirkt, und zwar wegen – wie heißt es dort? – ›Verächtlichmachung des deutschen Handwerkswesens‹. Wie ernst Sie das nehmen sollten, ersehen Sie daraus, dass ich mich persönlich um diese Angelegenheit kümmern muss, obwohl ich wahrlich noch anderes zu tun habe.«
In Wahrheit erschien es ihr lächerlich, wie sich die Urheber dieses Haftbefehls ereiferten. Wilhelm R. Feldmann hatte zwar ein ellenlanges Register bei der Lübecker Polizei, aber dabei handelte es sich ausnahmslos um zweitrangige Ordnungswidrigkeiten, überwiegend unstatthafte und äußerst waghalsige Basteleien an Krafträdern. Und seine Bildergeschichten, die von
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