Kaisertag (German Edition)
nonkonformistisch gekleidet. Sie unterhielten sich in kleinen Gruppen, einige schlenderten mit einem Sektglas in der Hand von einem Gemälde zum nächsten. Über allem lag ein angeregtes Stimmengewirr, und irgendwo in einem der Räume spielte eine kleine Jazzband schräge Melodien.
Alexandra bahnte sich ihren Weg zwischen den dicht beieinanderstehenden Gästen und fragte sich zu Franziska Diebnitz durch. Nebenbei erhaschte sie immer wieder viel zu kurze Blicke auf die Bilder an den Wänden; es waren tatsächlich erlesene Stücke, Werke weitab der stillen Bergseen und pathosschweren Schlachtendarstellungen, die in Deutschland gemeinhin als Kunst galten.
Schließlich fand sie, wen sie gesucht hatte. Die Witwe des Obersts stand gemeinsam mit einer Handvoll anderer Leute in der Nähe eines weit geöffneten Fensters, wo die schwüle Abendluft ein wenig erträglicher war, lachte und amüsierte sich augenscheinlich prächtig. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Abendkleid, dessen tiefes Schwarz zugleich das Einzige an ihr war, was wenigstens entfernt an Trauer denken ließ, und die dunklen Haare fielen in glänzenden Wellen über ihre Schultern.
Ist schon interessant, dass Fritz mir verschwiegen hat, wie schön seine Klientin ist , dachte Alexandra mit einem unsichtbaren Grinsen. Kein Wunder, dass er’s nicht fertiggebracht hat, den Auftrag abzulehnen. Nicht die Aussicht auf das große Geld hat dich weich gemacht, mein Bester, sondern dieser Anblick. Ich habe dich durchschaut, Friedrich Prieß!
Sie ging auf die gut gelaunte Witwe zu und sprach sie an. »Verzeihen Sie bitte, wenn ich Sie mitten in Ihrer Unterhaltung störe. Sind Sie Frau Diebnitz?«
Die Eigentümerin der Galerie musterte die uniformierte Unbekannte. »Ja, die bin ich. Was kann ich für Sie tun, Frau …?«
»Dühring. Ich bin hier, weil …«
»Alexandra Dühring, die Polizeipräsidentin von Lübeck?«, entgegnete Franziska Diebnitz erstaunt. »Ich bewundere Sie sehr für das, was Sie erreicht haben. Es ist mir eine Ehre, Sie persönlich kennenzulernen. Darf ich Ihnen einige meiner Freunde vorstellen? Dies ist Herr Müller-Stahl, der Künstler, dem diese Vernissage gewidmet ist …« Sie deutete auf einen Mann mit schütterem Haar und Schnauzbart, der zur Begrüßung die Hand ausstreckte. Alexandra begrüßte den Maler und noch ein gutes Dutzend weiterer Menschen, die die Gastgeberin ihr präsentierte. Dann erst konnte sie Franziska Diebnitz auf den eigentlichen Grund ihres Besuches ansprechen.
»Ich möchte nicht unhöflich sein«, sagte sie leise, »aber ich bin leider nicht zum Vergnügen hier. Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen, es geht um Friedrich Prieß und Ihren verstorbenen Gatten.«
Das Lachen im Gesicht der Witwe verflog.
Nur stark gedämpft drangen die Klänge der Band und die vielen sich überlagernden Stimmen durch die Tür des Büros. In den Regalen aus blank poliertem Stahlblech standen neben großformatigen Bildbänden über die bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt auch Kataloge aller namhaften Auktionshäuser und Literatur über moderne Malerei. Über dem Schreibtisch hing ein Bild, das ein blaues Pferd inmitten einer traumartig bunten Landschaft zeigte. Franziska Diebnitz saß neben Alexandra auf dem asymmetrisch kantigen Sofa und konnte noch immer kaum glauben, was sie eben erfahren hatte.
»Er ist für mich gestorben …« Sie sprach es aus, als müsste sie erst ihre eigenen Worte hören, um es zu begreifen. »Für mich … um mich zu beschützen.«
»Seine Mörder stellten ihn vor eine grausame Wahl. Sie drohten ihm damit, Ihnen etwas anzutun, wenn er sich nicht erschoss. Und er hat sich entschieden, Ihr Leben zu retten«, bestätigte Alexandra.
Die Augen der Witwe glänzten feucht, und für einige Momente wirkte sie erschüttert und verletzlich. Dann aber spannten sich plötzlich die Muskeln unter der glatten Haut ihres Gesichts und zornige Entschlossenheit kam zum Vorschein.
»Wer hat das getan?«, wollte sie wissen, und in den Worten schwang bereits die unterschwellige Forderung nach Rache mit.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Noch nicht«, antwortete die Polizeipräsidentin. »Jeder, der es weiß, kann sich selbst und andere durch unbedachte Äußerungen in große Gefahr bringen. Die Mörder Ihres Mannes schrecken vor nichts zurück. Das musste auch Friedrich Prieß erfahren.«
»Mein Gott! Ihm ist doch nichts zugestoßen?«, erschrak Franziska Diebnitz. Ihre Besorgnis rief bei Alexandra ein
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