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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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unerwartetes Gefühl hervor, das sie nicht recht einzuordnen wusste. Sollte es etwa ein Anflug von Eifersucht sein? Aber diesen unsinnigen Gedanken schüttelte sie schnell wieder ab.
    »Nein, aber er ist nur knapp mit dem Leben davongekommen«, erwiderte sie, ohne das Attentat von Kronsforde zu erwähnen. Offenbar hatte Franziska Diebnitz die Liste mit den Namen der Todesopfer nicht gelesen, also war es auch nicht nötig, den Anschlag ins Spiel zu bringen. »Augenblicklich muss er sehr vorsichtig sein und kann sich nicht frei bewegen. Darum bin ich an seiner Stelle hier. Ich … wir waren der Ansicht, Sie sollten zumindest wissen, dass Ihr Mann gestorben ist, um Sie zu retten.«
    »Ich verstehe.« Franziska Diebnitz legte die Hände zwischen die Knie, als wollte sie sich zur Ruhe zwingen. Sie atmete mehrmals tief durch, ehe sie weitersprach: »Mein Verhalten muss auf Sie sehr befremdlich wirken, Frau Dühring. Sie haben mich vorhin nicht gerade als trauernde Witwe erlebt und nun dieser unvermittelte Stimmungsumschwung … Was müssen Sie nur von mir denken?«
    Alexandra hätte diese Frage nicht beantworten können. Sie bezweifelte nicht, dass der Hass auf die Mörder und die Ergriffenheit über das Opfer, das der Oberst gebracht hatte, ebenso echt waren wie die unbeschwerte Fröhlichkeit, die erst zehn Minuten zurücklag und bereits in unendlich weite Ferne gerückt schien. Nichts war vorgetäuscht, und trotzdem wollte es einfach nicht zusammenpassen.
    »Ich wundere mich einfach nur«, gab Alexandra wahrheitsgemäß zur Antwort. »Ich will ganz offen sein: Ich habe gehört, dass Ihr Mann Ihnen völlig gleichgültig gewesen sein soll. Dennoch wollten Sie um jeden Preis die wahren Schuldigen für seinen Tod finden und ihrer Strafe zuführen lassen. Waren das also nur böse Unterstellungen, und er hat Ihnen also doch etwas bedeutet? Dann aber frage ich mich, warum Sie keine Trauer gezeigt haben. Selbst jetzt sind Sie zwar verletzt, wütend, ergriffen, gerührt, sogar traurig – aber zwischen traurig sein und trauern liegen Welten. Es ist so widersprüchlich. Ich begreife es nicht.«
    »Nein, das können Sie auch nicht«, entgegnete Franziska Diebnitz. Sie machte eine lange Gedankenpause, schien sich nicht sicher zu sein, ob sie weitersprechen sollte, und setzte mehrmals zu einem neuen Satz an, ohne über einen stummen Anfangslaut hinauszukommen. Endlich fand sie einen Einstieg und begann zu erklären:
    »Es ist wahr, ich habe Gustav nie geliebt. Wie sollte ich auch? Meine Eltern hatten mich unter Druck gesetzt, damit ich ihn heiratete. Sie wollten es, weil er ein außergewöhnlich aussichtsreicher Offizier aus angesehener Familie war. Eine reine Prestigeangelegenheit, standesgemäß, Sie verstehen? Ich war zu jung und zu verschüchtert, um mich zu widersetzen. Doch nach der Hochzeit, als ich zum allerersten Mal in meinem Leben dem Bannkreis meiner Familie entkommen war, fand ich plötzlich den Mut, Gustav zu sagen, dass ich absolut nichts für ihn empfand. Das war ein Schock für ihn, denn er liebte mich fast abgöttisch. Aber er hat es akzeptiert. Nach dieser Erfahrung begann mein Selbstbewusstsein zu wachsen. Ich hatte mich schon immer für Kunst interessiert, und als ich Gustav eröffnete, dass ich eine Galerie eröffnen wollte, hat er mir keine Steine in den Weg gelegt, sondern mich nach Kräften unterstützt. Er hat auch nie versucht, mein Leben zu bestimmen. Das ist mehr, als man von vielen sogenannten glücklichen Ehen behaupten kann. Dafür war ich ihm dankbar, und er wusste es. Aber nach außen? Seine Freunde, seine Kameraden, selbst sein Sekretär, niemand konnte mich ausstehen. Alle sahen in mir die böse Hexe, die ihren viel zu gutmütigen Ehemann mit kalter Nichtbeachtung straft. Nichts davon ist wahr! Ich habe Gustav geschätzt und respektiert, aber mehr halt nicht. Als er dann tot war … nun, ich konnte einfach nicht glauben, dass er sich umgebracht haben sollte. Es stimmt, ich habe nicht um ihn getrauert, und ich habe auch nicht versucht, es vorzutäuschen. Aber ich war wütend. Er war ein guter Mensch, und ich verdanke ihm so viel. Dieses Ende hatte er nicht verdient. Und jetzt, da ich weiß, was er für mich getan hat …«
    Sie verstummte, erhob sich vom Sofa und ging ohne erkennbares Ziel einige Schritte im Büro auf und ab. Dann trat sie an den Schreibtisch, entnahm einem kleinen lackierten Kästchen eine Zigarette, die sie gedankenverloren zwischen Daumen und Zeigefinger drehte, ohne Anstalten zu

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